Shopping in der Praxis
Von Ralf Wurzbacher
Bei der Hamburger Sparkasse (Haspa) ist jedes Geschäft ein gutes Geschäft. Auf ihrer Webseite wirbt ein Berater für Firmenübernahmen dieser Tage ganz freimütig für das neue, heiße Ding auf dem Gesundheitsmarkt: den Erwerb von Arztpraxen und Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) durch Private-Equity-Fonds (PEF). Die Investments verhießen »konjunkturunabhängige und damit stabile Cash Flows« und »hohes Potential aufgrund der zunehmenden Alterung der Gesellschaft«, liest man da. Die Verkäufer hingegen sicherten sich »einen Großteil des (…) investierten Kapitals auf die private Ebene und damit gegebenenfalls auch für nachfolgende Generationen«. Aber Vorsicht: »Wir sehen oft Unternehmen, die den optimalen Verkaufszeitpunkt verpasst haben.«
Ein öffentliches Finanzinstitut legt sich also dafür ins Zeug, das über weite Strecken noch öffentliche Gesundheitswesen sogenannten Heuschrecken auszuliefern. Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, zeigt sich ob dieser Vorgänge besorgt. Genesungschancen dürften nicht durch wirtschaftliche Strukturen und Interessen gefährdet werden, sagte er der Augsburger Allgemeinen vom Dienstag. »Ganz gleich, wie groß eine Praxis ist oder wer sie betreibt, allein die Qualität der Therapie ist für die Patienten entscheidend.« Vor einer »alarmierenden« Lage warnt auch der Medizinethiker Eckhard Nagel von der Universität Bayreuth: »Das unentbehrliche Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient droht hier verletzt zu werden«, befand er gegenüber derselben Zeitung.
Anfang April hatte eine von der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) beauftragte Analyse ans Licht befördert, dass sich die Zahl der Arztpraxen in Händen von Spekulanten im Freistaat in den Jahren 2018/19 um 72 Prozent erhöht hat. Begehrlichkeiten wecken demnach vor allem die MVZ, in denen Behandlungen schon ohne Zutun von Finanzjongleuren deutlich teurer abgerechnet werden als in Einzelpraxen. Noch kostspieliger wird es, sobald ein Investor am Ruder ist. Gemäß der Analyse werden dann Zuschläge von 10,4 Prozent über dem üblichen Honorar fällig. Die Abzocker sind längst in ganz Deutschland unterwegs. Nach einem Bericht des ARD-Magazins »Panorama« von April haben sich diese in jüngeren Jahren »bereits Hunderte, möglicherweise sogar Tausende Arztsitze« unter den Nagel gerissen.
Hoch im Kurs stehen insbesondere Augenarztpraxen, von denen bundesweit mittlerweile mehr als 500 in Ketten unter Regie internationaler Finanzunternehmen organisiert sind. Das wären dreimal so viele wie vor drei Jahren. Offenbar haben viele niedergelassene Ärzte unter dem Druck der Coronakrise ihre Praxis an potente Vermögensverwalter veräußert, für die sie sich jetzt im Angestelltenverhältnis als Renditejäger betätigen. Nach »Panorama«-Recherchen bauen die Akteure mithin in kürzester Zeit monopolartige Strukturen auf. So hat sich etwa ein Londoner Finanzinvestor seit 2019 über einen Fonds in Luxemburg mehrere regionale Verbünde in Schleswig-Holstein angeeignet und unter dem Namen »Sanoptis« zusammengeführt. Allein in Kiel sollen sich mehr als die Hälfte aller Augenärzte unter dem Dach versammeln. Nach Eigendarstellung unterhält das »innovative Netzwerk für Augenheilkunde« in Deutschland und der Schweiz »über 240 Standorte«.
Inzwischen gibt das Treiben auch Teilen der Politik zu denken, etwa Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU). »Es ist schon auffallend, dass gerade bestimmte Fachärzte wie Augenärzte, Nephrologen, aber auch Radiologen offenbar besonders interessant für Finanzinvestoren sind«, erklärte er gegenüber der Augsburger Allgemeinen. Vor einer Woche schon hatte der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, gefordert, den Einfluss von Finanzinvestoren auf ambulante Einrichtungen gesetzlich einzudämmen. Auch Holetschek will das Bundesgesundheitsministerium (BGM) eindrücklich darum gebeten haben, sich des Themas anzunehmen und dazu so schnell wie möglich eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe einzurichten. Geschehen sei bisher allerdings nichts.
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