»Neustart« nach links oder rechts
Von Nico Popp
In den Umfragen stand die Partei schon schlecht da, um dann am Wahltag noch schlechter abzuschneiden: Bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen hat die Partei Die Linke ihre Serie von Wahlniederlagen mit nur noch 2,1 Prozent der Zweitstimmen nahtlos fortgesetzt. Sie hat 146.611 Wählerstimmen erhalten. 2017 waren es noch 415.936. Die Partei hat also innerhalb von fünf Jahren 65 Prozent ihrer Wählerinnen und Wähler verloren – und zwar, darauf deutet einiges hin, vor allem an das Nichtwählerlager. In lediglich drei von 128 Wahlkreisen kam die Partei bei den Zweitstimmen knapp über fünf Prozent, in einem weiteren über vier. Unter dem Strich haben bei der »kleinen Bundestagswahl« gerade noch 1,1 Prozent der Wahlberechtigten ihre Zweitstimme der Linkspartei gegeben – als mobilisierungsfähige Wählerpartei ist die Linkspartei im bevölkerungsreichsten Bundesland also nahezu am Ende.
Die Partei steht nun, wenige Wochen vor dem Bundesparteitag Ende Juni in Erfurt, vor der wohl tatsächlich existentiellen Frage, wie sie mit dieser Situation umgeht. Verschärft sie den regierungslinken Anpassungs- und Integrationskurs, der in diese Lage geführt hat – das Projekt, genau das bei dem anstehenden Parteitag als »Richtungsänderung« oder »Neustart« zu verkaufen, wird derzeit intensiv vorbereitet –, oder rafft sie sich, mit welchen Inhalten auch immer, zu einer Neuprofilierung auf, die sie als linke Oppositionspartei wieder erkenn- und unterscheidbar macht?
Inzwischen verweisen der Bundesgeschäftsführer und die verbliebene Parteivorsitzende nach Wahlniederlagen routiniert auf den Parteitag. Janine Wissler sagte am Montag in Berlin, man müsse »die Partei wieder gut aufstellen und verlorenes Vertrauen zurückgewinnen«. Dafür sei wichtig, »die Kernbotschaften wieder in den Vordergrund zu stellen«. Dazu zählte sie soziale Gerechtigkeit, die Besteuerung hoher Unternehmensgewinne, die Mietenproblematik und den Pflegenotstand.
Die neuerliche Pleite bei einer Landtagswahl habe auch mit »der schwierigen Situation« zu tun, »in der wir als Gesamtpartei sind«. Wissler erweckte am Montag den Eindruck, dass sie zu denen gehört, die strategisch für ein (sehr dosiertes) »Zurück zu den Wurzeln« der einst mit einem sozialistischen Programm angetretenen Partei plädieren: »Wir kämpfen für Umverteilung.« Die Linke sei die Partei »der Beschäftigten, der Mieterinnen und Mieter und der Pflegekräfte«. »Es braucht eine linke Kraft, die auf soziale Ungerechtigkeit hinweist«, so Wissler weiter.
Ob sie sich im Juni wieder für den Vorsitz bewerben wird, sagte Wissler einmal mehr nicht. Offen zeigte sie sich für die vor allem aus dem regierungslinken Lager kommende Forderung, den 44 Mitglieder starken Parteivorstand zu verkleinern. Möglich sei auch, von der Praxis einer Ost-West-Doppelspitze abzurücken, auch wenn viel für eine solche Lösung spreche.
Der Leipziger Bundestagsabgeordnete Sören Pellmann, der eine Kandidatur für den Parteivorsitz erwägt, meldete sich am Montag ebenfalls zu Wort. Trotz der Kette von Wahlniederlagen sei die Partei nicht bedeutungslos, sagte er der Nachrichtenagentur dpa. Die Partei sei in vier Landesregierungen und stabil in den Landtagen in Ostdeutschland vertreten. Dort gebe es auch starke Kreisverbände. »Der Osten kann die Lebensversicherung für das Überleben der Linken bundesweit sein«, sagte Pellmann, der derzeit auch »Ostbeauftragter« der Linke-Bundestagsfraktion ist. Wenn die Partei im Osten auf etwa 20 Prozent komme, überspringe sie auch bundesweit die Fünfprozenthürde, so Pellmann. Davon ist die Partei allerdings weit entfernt – bei der Bundestagswahl im vergangenen Jahr kam sie im Osten nur noch auf rund zehn Prozent der Stimmen und dürfte derzeit nicht einmal das Potential haben, dieses Ergebnis auch nur zu wiederholen, sollte kurzfristig eine Bundestagswahl vor der Tür stehen.
Aktuell könne die Linke etwa die besonderen Auswirkungen eines Ölembargos gegen Russland auf Ostdeutschland thematisieren, aber auch die weiterhin niedrigeren Löhne und Renten im Osten, so Pellmann. Damit werde die Partei weiterhin in größeren Städten wahrgenommen und strebe dies auch für die Fläche an. Pellmann will Ende Mai bekannt geben, ob er sich für den Vorsitz bewirbt.
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Kurs auf »Schwarz-Grün«
vom 17.05.2022
Wohl verständlich, aber falsch! Ohne Die Linke, wer wird im Bundestag gegen Aufrüstung und Kriegseinsätze sprechen? Wer wird Faschisten konsequent bekämpfen, ob mit »88« Tätowierung oder Bundeswehruniform? Wer wird für Mietenstopps eintreten, und höhere Renten mit 65 Jahren? Wie viel arbeiterfreundliche Schritte wird die SPD gehen, ohne Angst vor der PdL?
Nur, Die Linke setzte sich für diese Ziele eher in den Parlamenten ein, nie genug in den Straßen. Wie oft war sie zahlreich, ideenreich, laut sichtbar in Protesten vor Kasernen, Luftstützpunkte, Ramstein und Büchel? Wie organisiert gegen Mietenerhöhungen, Rentenbetrug, Rüstung und Kriegseinsätze? Wie anklagend gegen Erdöl- und Fracking-Riesen, Waffenhersteller, Pharmagiganten, Automonopole, die Gedankenregler Facebook, Google, Twitter, Amazon, Herrscher wie Bezos, Gates, Springer, Musk? Wie aufklärend über das Ziel: Am Ende weg mit den gierigen, blutrünstigen einen Prozent!
Nur eine Neubelebung als Kampfverein kann die Partei retten und damit die wichtigen Vorteile des Rederechts in den Parlamenten und Medien behalten, um sich dann kämpferisch für Streikende, Billigarbeiter und Arme einzusetzen. Und für den Frieden.
Mein Vorschlag für ein Programm:
1. In der Ukraine keine Rüstung mehr für einen »Sieg«, der zum Atomkrieg führen kann. Dafür: Verhandlungen, Diplomatie, Frieden, mit der Ablehnung von Hasstiraden und Aufrüstung, die an 1957 oder gar 1937 erinnern!
2. Die Hundert Milliarden statt für Rüstung eher für bezahlbare Wohnungen, gute Schulen, oder Bahnverbesserung auf dem Lande ausgeben. Dafür kämpfen in der Opposition und nicht als Teil des Establishments. Koalitionen haben uns fast immer geschwächt.
3. Ein Dauerverbot für Zwangsräumungen von Wohnungen, Jugendzentren und Treffpunkten, mit aktiver Teilnahme der Linken an Kämpfen dagegen. »Deutsche Wohnen enteignen!« – aktiv unterstützen und erweitern.
4. Kraftvolle, hörbare Unterstützung für Gorillas, Kassiererinnen, Pflegekräfte und allen Miesbezahlten, wie für alle Arbeiter, die um bessere Bedingungen kämpfen und streiken.
5. Aktives Streben nach solidarischen Freundschaften mit Menschen migrantischer Abstammung: türkisch, kurdisch, vietnamesisch, muslimisch, russisch, polnisch, ukrainisch, afrikanisch u. a. – mit gemeinsamen Aktionen wie auch Konzerten, Treffen, Feiern usw.
6. Mehr Kultur: Konzerte, groß und klein, Konferenzen, sowie Lieder zum Mitsingen bei guten, kämpferischen Demos. Auch kluge witzige Poster, Logos, Abzeichen.
Das sind viele Vorschläge. Wie ich meine, nur ein Programm in dieser oder ähnlicher Richtung kann die Partei noch einigen und retten.