»Sie vertritt die Interessen der großen Mehrheit«
Interview: Thorben Austen, Quetzaltenango
Seit gut einer Woche hat in Honduras die Regierung Ihrer Parteikollegin, Präsidentin Xiomara Castro, die ersten 100 Tage im Amt hinter sich. Wie lautet Ihr Resümee?
Die neue Regierung ist eine, die die Interessen der großen Mehrheit der Bevölkerung und nicht nur der wirtschaftlichen Elite vertritt. Der wichtigste Erfolg bislang ist der neue Haushalt mit klarem Schwerpunkt auf den Bereichen Bildung, Gesundheit, Infrastruktur und Sicherheit. Wichtige Schritte sind zum Beispiel die Aufhebung des »Gesetzes über die Geheimhaltung öffentlicher Dokumente«, das die Korruption de facto legalisiert hatte, und das Gesetz über die Abschaffung der »Zonen für Arbeit und wirtschaftliche Entwicklung«, die ZEDEs.
Wir arbeiten an einer Reform des Energiesektors mit Fokus auf dem Ausbau des staatlichen Anteils und dem Ziel, die Kosten für Energie zu senken. Dazu ist eine Kommission unter meinem Vorsitz tätig. Im Bereich der Arbeiterrechte haben wir das wichtige »Gesetz über die stundenweise Beschäftigung« durchgesetzt. Es soll Arbeitslosen verbesserte Möglichkeiten der Beschäftigung bieten, die Arbeitsbedingungen verbessern und Arbeitsplätze erhalten – auf der Grundlage internationaler Richtlinien wie dem Achtstundentag.
Und welche wirtschaftspolitischen Schwerpunkte setzt Präsidentin Castro?
Die Ausgaben für den öffentlichen Bereich wurden erhöht. Im Bereich der Infrastruktur wurden in den vergangenen Jahren nur rund zwei Prozent des BIP investiert. Wir haben das jetzt auf vier Prozent erhöht. Das soll zur wirtschaftlichen Entwicklung beitragen. Des weiteren laufen Kreditprogramme im Bereich des Baugewerbes und der Landwirtschaft. Auch fördern wir die Investition von ausländischem Kapital, aber zu fairen Arbeitsbedingungen und zur Entwicklung der Wirtschaft in Honduras.
Die Nationale Partei hat uns zerstörte Institutionen des Staates hinterlassen. Ab 2017 kamen ausländische Investitionen in Milliardenhöhe ins Land. Das wurde aber begleitet von einem Anstieg der Arbeitslosigkeit. Heute sind sieben von zehn Honduranern ohne Arbeit im formellen Sektor. Im Bereich der Korruption und des Drogenhandels hat uns die Nationale Partei ein schlimmes Erbe hinterlassen. Ein Beispiel ist die Auslieferung des ehemaligen Regierungschefs Juan Orlando Hernández in die USA wegen Drogenhandels.
Sie sind schon lange in Honduras in der Politik und als Ökonom tätig. Was waren Ihre wichtigsten Stationen?
Ich war in den Regierungsperioden dreier Präsidenten der Liberalen Partei tätig. In den Jahren 1994 bis 1998 in der Regierungszeit von Carlos Roberto Reina war ich Präsident der Bank von Honduras. Unter Staatspräsident Carlos Flores Facussé war ich Botschafter in Washington (1998–2002, jW) und schließlich in Teilen der Regierung Manuel Zelaya (2006 bis zum Staatsstreich 2009, jW) war ich Finanzminister. Nach dem Putsch gegen Zelaya entstand aus Teilen der Liberalen Partei und der Widerstandsbewegung die Partei Libertad y Refundacion, kurz Libre, (Freiheit und Neugründung, jW) von Xiomara Castro, für die ich heute Abgeordneter und stellvertretender Parlamentspräsident bin.
Die »Zonen für Arbeit und wirtschaftliche Entwicklung«, wie diese oft als Privatstädte titulierten »Sonderentwicklungszonen« offiziell heißen, waren auch in deutschen Medien ein Thema. Was ist aus Ihrer Sicht das größte Problem der ZEDEs, und wie wollen Sie mit denjenigen verfahren, die bereits existieren?
Die ZEDEs schaffen eigene Hoheitsgebiete auf dem Staatsgebiet von Honduras. Dort gibt es eine eigene Polizei, eine eigene Währung, ein eigenes Justizsystem. Das können wir als souveränes Land nicht akzeptieren. Aktuell existieren vier dieser Zonen. Da gibt es Verhandlungen der Gesetzgeber mit den Betreibern, um das bereits investierte Kapital in andere Bereiche wie Freihandelszonen oder Industrieparks zu überführen. Eine ZEDE signalisierte bereits Zustimmung.
Hugo Noé Pino ist Vizepräsident des Nationalkongresses von Honduras und Abgeordneter der Partei Libertad y Refundación (Libre)
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