»Lex Rosneft« verabschiedet
Von Bernd Müller
Der Bundestag hat am Donnerstag abend den Weg zur Enteignung des russischen Staatskonzerns Rosneft freigemacht, der eine Anteilsmehrheit an der PCK-Raffinerie in Schwedt (Oder) hält. Mit den Stimmen der Fraktionen von SPD, Grünen, FDP und Linkspartei wurde eine Reform des Energiesicherheitsgesetzes verabschiedet, die der Regierung den Zugriff auf bestimmte Unternehmen erleichtert. Der Bundesrat muss noch zustimmen, was am kommenden Freitag geschehen könnte.
Energiekonzerne zählen hierzulande zur kritischen Infrastruktur. Sollte die »konkrete Gefahr« bestehen, dass ein Unternehmen die Versorgungssicherheit gefährdet, kann es unter treuhänderische Verwaltung des Staates gestellt werden. Als letztes Mittel sieht das reformierte Gesetz die Enteignung vor.
In den vorangegangenen Debatten wurde deutlich, dass die Reform auf den PCK-Eigner Rosneft zielt, dem unterstellt wird, im Falle eines Ölembargos nicht auf russisches Erdöl verzichten zu wollen und so die Versorgungssicherheit zu gefährden. Aus der Raffinerie stammen nicht nur über 90 Prozent der Kraftstoffe, die in Berlin und Brandenburg verbrannt werden, sondern auch rund 30 Prozent des Bitumens, das für den Straßenbau in der Bundesrepublik notwendig ist.
Rosneft-Sprecher Burkhard Woelki beteuerte am Donnerstag: »Wenn es ein Gesetz mit einem Bann für russisches Öl geben würde, wird sich Rosneft Deutschland selbstverständlich an die Auflagen halten«. Und er gab zu bedenken, dass in der PCK-Raffinerie in der Vergangenheit auch schon andere, mit den russischen vergleichbare Öle verarbeitet wurden.
Die Maßnahmen gegen das Unternehmen dürften aber beschlossene Sache sein. Im Falle eines Embargos gegen russisches Erdöl wäre die Raffinerie auf Lieferungen aus dem polnischen Gdansk angewiesen. Nur mit Öl aus diesem Hafen und dem in Rostock kann die Mindestmenge herangeschafft werden, um die chemischen Prozesse in der Raffinerie am Laufen zu halten, hieß es auch in der Bundestagsdebatte am Donnerstag. Die polnische Regierung will ausdrücklich nur liefern, wenn die Raffinerie nicht mehr Rosneft gehört.
Die Zukunft der PCK-Beschäftigten ist ungewiss. Eine Zeitlang könne die Raffinerie mit nationalen Ölreserven versorgt werden, hat das Bundeswirtschaftsministerium erklärt. Zum Zeitraum und der Kostenübernahme konnte das Ministerium auf jW-Nachfrage »noch keine Details nennen«. Dass Robert Habeck (Grüne) am Montag höchstpersönlich vor Ort war, müsse erst einmal genügen: »Allein die Reise des Ministers nach Schwedt hat deutlich gemacht, dass uns die Bedeutung und die Situation bewusst ist.«
In Rostock war Habeck in letzter Zeit nicht. Dort müsste der Hafen vertieft werden, damit schwere Öltanker zur Versorgung der Schwedter Raffinerie über den Weltmarkt anlanden können – das bräuchte einige Zeit.
Genau wie die Umstellung des Werks auf Wasserstoff und Biochemie, über die das Brandenburger Wirtschaftsministerium in diesen Tagen laut nachdachte. »Acht bis zehn Jahre sind dafür ein realistischer Zeitrahmen«, teilte das Ministerium gegenüber jW mit. Auf die Frage nach Maßnahmen, die die Arbeitsfähigkeit der Raffinerie sicherstellen, wies das Ministerium jede Verantwortung von sich: »Die Raffinerie gehört nicht dem Land Brandenburg; zur Arbeitsfähigkeit kann nur das Unternehmen selbst Auskunft geben.«
Um die Auswirkungen des Ölembargos auf die Region einigermaßen im Griff zu behalten, hat Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) bereits auf Milliardenhilfen der Bundesregierung gedrungen.
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Leserbrief von Sven Harmgart aus Bernau (17. Mai 2022 um 12:15 Uhr)Auf dem YouTube-Kanal der Linksfraktion findet sich der Redebeitrag des Linke-Abgeordneten Matthias W. Birkwald zur Zustimmung der Linksfraktion zur Änderung des Energiesicherungsgesetzes. Er sagt darin: »Private Profitinteressen dürfen nicht unsere Gesellschaft gefährden. (…) Für die Linke gehört die Daseinsvorsorge wie (…) die Energiewirtschaft unter gesellschaftliche Kontrolle.« Weiter sagte er: »Nicht nur Wladimir Putin, sondern allen Spekulanten und Spekulantinnen wird jetzt klar, bei Missbrauch ist das Eigentum weg.« Man kann dies durchaus als Wählertäuschung ansehen, denn im Gesetzestext heißt es unter Paragraph 20 Absatz 3: »Unternehmen, deren Anteile enteignet wurden, sollen wieder privatisiert werden.« – Also ist in Wahrheit die gesellschaftliche Kontrolle der Daseinsvorsorge im Bereich der Energiewirtschaft überhaupt nicht vorgesehen. Tatsächlich geht es darum, die Kontrolle der Energiewirtschaft letztlich wieder zu 100 Prozent in die Hände der westlichen Konzerne zu legen. Angesichts des Einknickens der bundesdeutschen Politik vor den transatlantischen Forderungen nach Stilllegung von Nord Stream 2 kann man doch nicht ernsthaft annehmen, dass dieses Gesetz jemals gegen die westlichen Öl- und Gas-Konzerne mit Sitz in Frankreich, Großbritannien oder den USA bzw. gegen die Spekulanten an westlichen Börsen zum Einsatz kommen wird. Man fragt sich, ob das Agieren der Linksfraktion Dummheit oder Absicht ist. Für die Raffinerie in Schwedt ist damit klar, was beabsichtigt ist: Sie soll zuerst unter staatliche Verwaltung gestellt, danach enteignet und schließlich an westliche Investoren verscherbelt werden. Damit es nicht zur sofortigen Schließung und damit zu Protesten der Bevölkerung kommt, ist eine Übergangsphase angedacht, in der auf teuren Umwegen Rohöl angeliefert werden soll, wobei fraglich bleibt, ob das überhaupt funktionieren wird. Letztlich wird dies ein vom Steuerzahler zu bezahlendes Zuschussgeschäft werden, was kein privater Investor beibehalten wird, wenn die abschließende Reprivatisierung ansteht. Mit ihrer Zustimmung zu dieser Gesetzesänderung signalisiert Die Linke: Wir machen mit!
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