Da waren es nur noch vier
Von Hansgeorg Hermann
Die erste Instanz, der Pariser Strafgerichtshof, war unnachsichtig mit François Fillon. Wegen Betrugs und Veruntreuung öffentlicher Gelder hatte er den früheren französischen Premierminister (2007–2012) im Juni 2020 zu fünf Jahren Gefängnis, der möglichen Höchststrafe, verurteilt; drei Jahre auf Bewährung, zwei Jahre in Haft – eines in der Zelle, eines mit elektronischer Fußfessel. Am Montag ließ das von Fillon angerufene Berufungsgericht in seinem Urteil noch vier Jahre übrig, drei Jahre auf Bewährung, eines im relativ bequemem Haftmodus: »abzusitzen« in seinem 14-Zimmer-Landsitz in Sarthe (Pays de la Loire) und seinem Büro bei der Geschäftsbank Tikehau Capital, die seit zwei Jahren auf Fillons Erfahrung als gewiefter ehemaliger Handlanger des rechten Präsidenten Nicolas Sarkozy setzt.
Das Verfahren folge »den üblichen Regeln«, spotteten tags darauf die Hauptstadtzeitungen, sei ein »Klassiker des politiko-finanziellen Geschäfts«. Die Justiz schlage in erster Instanz hart zu und lasse in den folgenden Berufungsverhandlungen die »Herren im weißen Kragen« dann entkommen. Denn das Gefängnis von innen gesehen haben in Frankreich die wenigsten der der politischen oder wirtschaftlichen »Elite« zugerechneten Täter, wie Fillons ehemaliger, bereits zweimal zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilter Chef Sarkozy seit zehn Jahren nahezu wöchentlich beweist. Während der noch oft genug in der ersten Reihe Politik macht – der rechtskonservative Strippenzieher gilt als graue Eminenz hinter dem soeben wiedergewählten Präsidenten Emmanuel Macron – hat sich sein »Mitarbeiter« Fillon aus der Politik zurückgezogen und kümmert sich nur noch um die Mehrung seines Vermögens.
Vor allem deshalb, vermuteten am Dienstag französische Medien, habe Fillon auch das jüngste Urteil nicht hingenommen, sondern den Weg in die vermutlich letzte Instanz angetreten. Jeweils 350.000 Euro Geldstrafe für sich und seine Ehefrau Penelope seien für den als sparsamen Haushälter bekannten Wirtschaftsadvokaten womöglich schwerer zu ertragen als eine lumpige Fußfessel am Bein, die das Richterkolleg diesmal als Ersatz für die im ersten Urteil noch als »obligatorisch« verhängte einjährige Zellenhaft vorschlug.
Der moralische Donner jedoch, den die Urteilsbegründung im Juni 2020 auslöste, ist längst verhallt. »François Fillon, Mandatsträger der Nation«, befanden seinerzeit die Richter, »hat seine Pflicht zur Beispielhaftigkeit und Rechtschaffenheit verfehlt und dazu beigetragen, das Vertrauen der Bürger zu erschüttern.« Ein Spruch, der nur unzulänglich die von der Pariser Satirezeitung Le Canard enchainé 2017 mitten im Präsidentschaftswahlkampf bloßgelegte Raffgier des damaligen Kandidaten der bürgerlichen Rechten und seiner vielen Spezis in Partei und Regierung beschreibt. Seine Gemahlin und selbst die Kinder hatte Fillon über Jahrzehnte angeblich als Parlamentarische Assistenten beschäftigt und sie aus der Staatskasse mit bis zu 6.000 Euro monatlich bezahlen lassen. Penelope hatte, wie Ermittler der Justiz herausfanden, die Büros der Nationalversammlung nicht ein einziges Mal von innen gesehen.
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