Paris gegen EU-Beitritt von Kiew
Von Raphaël Schmeller
In der EU zeichnet sich ein Richtungsstreit zwischen Deutschland und Frankreich ab. Während Berlin offen ist für einen baldigen Beitritt der Ukraine in das Staatenkartell, will Paris das Land mit anderen Westbalkanstaaten in eine »politische Gemeinschaft« stecken, mit der eine »privilegierte Partnerschaft« unterhalten werden soll – ähnlich wie mit der Türkei. Damit könne man angesichts der geopolitischen Lage Länder zusammenführen, die keinen EU-Beitritt schafften oder ihn nicht wollten, erklärte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron am Montag abend in Berlin bei seinem Antrittsbesuch für seine zweite Amtszeit. Bundeskanzler Olaf Scholz bezeichnete die Idee zwar als »sehr interessant«. Doch er warnte in der gemeinsamen Pressekonferenz davor, dass das dazu führen könne, den sechs Ländern des westlichen Balkans, die eine EU-Beitrittsperspektive hätten, nun die Aufnahme zu verweigern.
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas kritisierte wenige Stunden später im ZDF-Interview die Pläne des französischen Präsidenten. Sie hoffe anders als Macron, dass der EU-Beitritt der Ukraine »nicht Jahrzehnte braucht«. Natürlich warteten auch andere Länder auf eine Mitgliedschaft. Verfahren und Zeitpläne müssten aber so beschleunigt werden, dass sich eine »echte Perspektive« eröffne. Bas hatte am Wochenende die Ukraine besucht und Staatschef Wolodimir Selenskij getroffen.
Die EU-Osterweiterung ist für die BRD lukrativ. Ob in der Landwirtschaft, Fleischindustrie oder anderen Branchen – osteuropäische Arbeitskräfte verrichten hierzulande Knochenarbeit für Billiglöhne, ohne die die Produktion zum Teil lahmlegen würde. Als während der Coronapandemie 2020 Erntehelfer per Sondermaschine eingeflogen wurden, wurde das besonders deutlich. In Frankreich dagegen gibt es schon seit Jahren Zweifel an einer Erweiterung der EU. Paris’ Handel mit Osteuropa ist bescheiden. Neben der BRD sind in der EU Italien und Spanien Frankreichs wichtigste Handelspartner.
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