Hannibal in Tirol EF
Von Erwin Riess
Herr Groll war mit dem Dozenten in den Süden unterwegs. Im friulanischen Cividale sei ein Theaterfest im Gange, auch die englische Truppe Cheek to Jowl würde auftreten. Der Dozent schätzte die Compagnie über die Maßen, seit er deren Inszenierung von Websters »Herzogin von Malfi« bei den Wiener Festwochen gesehen hatte. Zwölf Schauspieler, keine Musik, kein einziges Requisit, aber was für eine Opulenz an Spielfreude und Witz, versuchte der Dozent seinen Freund mit dem Theatervirus anzustecken. Groll hatte sich kundig gemacht und war auf einen friulanischen Rotwein namens Schioppettino gestoßen, der nur bei Cividale wächst. Weinkenner zählten den Wein zur Elite der Rebengewächse. Diesen Tropfen würde Groll verkosten, das Theater nehme er als kulturellen Beifang mit.
Sie passierten Judenburg, Knittelfeld und Zeltweg. Rechterhand zeichneten sich die Türme und Werbeflächen der Formel-1-Rennstrecke ab, linkerhand breitete sich der größte Militärflughafen der Republik aus, auf dem heuer wieder eine mehrtägige Flugshow mit Kampf- und Militärfliegern stattfinden soll. Das Wehrbewusstsein der Bevölkerung müsse einer ständigen Schulung unterliegen, so die Verteidigungsministerin.
Von Zeltweg wollten sie über den Obdacher Sattel nach Kärnten wechseln, um dann auf der Südautobahn ins italienische Kanaltal vorzustoßen.
Der Dozent schwärmte von der montanistischen Hochschule in Leoben, die im Bereich Werkstoffkunde und Ölfeldwissenschaften unter den führenden Universitäten der Welt rangiere. Seit langem liefere sie personellen Nachschub für die US-amerikanische Rüstungs- und Ölindustrie. Dann erzählte der Dozent Freund Groll eine Realsatire: In Tirol gebe es seit Jahren ein Spektakelfestival auf einem der größten Gletscher, dem Rettenbachferner. Der erstrecke sich auf einer Höhe von 3.300 Metern und stelle die größte erschlossene Gletscherfläche Österreichs dar. Auf diesem Gletscher sollten der Zug des Hannibal über die Alpen und die siegreichen Schlachten des Karthagers gegen die Römer im dritten vorchristlichen Jahrhundert nachgespielt werden. Hubschrauber würden Tonnen an Pyrotechnik auf den Gletscher bringen, auf riesigen Filmleinwänden würden den Tausenden Zuschauern die Ereignisse der Antike vorgeführt werden. Elefanten aus Eis und Hunderte Statisten sollten das Schlachtengeschehen nachstellen, der Gletscher würde erglühen, der Waffenlärm würde bis Rom zu hören sein.
Die Tiroler Hotellerie und die mit ihr verbündete Seilbahnwirtschaft seien Gastgeber der besonderen Art, sagte Herr Groll anerkennend. Er sehe eine These bestätigt, die ihn schon lange beschäftige, die These, dass Hotellerie und Seilbahnwirtschaft in Österreich unumschränkt herrschten. In der Ukraine tobt ein realer Krieg? Dann muss unser Tiroler Krieg noch gewaltiger und blutiger geführt werden! Denn wir sind die Herren der Welt, und das müsse dieser immer wieder eingebläut werden.
Der Dozent ergänzt: »Als der Landeshauptmann leise Zweifel anmeldete, ob das Kriegsspektakel in dieser Zeit wirklich angebracht sei, erinnerten die Touristiker ihren ÖVP-Freund daran, dass sie die ÖVP großzügig durch Spenden finanzierten. Der liebe Herr Landeshauptmann solle sich in seiner Innsbrucker Burg verschanzen und schön brav den Mund halten. Allenfalls könne man über eine saftige Subvention des Spektakels aus dem Kulturtopf reden. Auf die Einwände der grünen Vizehauptfrau reagierten die Veranstalter erst gar nicht. Die Grünen sind in den Augen der Tourismuswirtschaft bestenfalls als Mehrheitsbeschaffer im Landtag tauglich, sie bekommen gut dotierte Plätzchen im Vorzimmer der Macht, von ihnen wird nur erwartet, dass sie die Geschäfte nicht stören. Die Grünen halten sich – wie im Bund – brav an die Vorgabe.« Und der grüne Umweltlandesrat? Auch dem sei die Sache nicht geheuer, also verschanze er sich hinter juristischen Spitzfindigkeiten, die es ihm nicht erlaubten, ein Verbot des Events auszusprechen. Immerhin stehe er dem Spektakel seit vielen Jahren kritisch gegenüber.
»Immerhin«, sagte Groll und kam zum Kern seiner These. Sie besagt, dass die Tourismusmafiosi Tirols, Salzburgs, Kärntens und des Burgenlands in ihrem Innersten von einem unstillbaren Hass auf die Natur befeuert werden. Sie gelte es zu vernichten, wo immer es möglich sei.
»Ein kühner Ansatz«, sagte der Dozent. »So kühn wie Hannibals Alpenquerung in Frankreich«, erwiderte Herr Groll.
Drei Wochen kostenlos lesen
Die Tageszeitung junge Welt stört die Herrschenden bei der Verbreitung ihrer Propaganda. Sie bezieht eine aufklärerische Position ohne Besserwisserei und wirkt durch Argumente, Qualität, Unterhaltsamkeit und Biss.
Überprüfen Sie es jetzt und testen die junge Welt drei Wochen lang (im europäischen Ausland zwei Wochen) kostenlos. Danach ist Schluss, das Probeabo endet automatisch.
Ähnliche:
- Roland Schlager/APA/dpa16.02.2022
Kokain und mächtige Feinde
- commons.wikimedia.org/wiki/File:Martin_Rutter_Ulrichsbergtreffen_2017_Rede.jpg16.02.2022
Der braune Ulrichsberg
- Martin Juen/SEPA.Media/imago images10.02.2022
»Dreistigkeit der Regierungskoalition«
Regio:
Mehr aus: Feuilleton
-
Der große Scherbenhaufen
vom 09.05.2022 -
Alles wieder gut!
vom 09.05.2022 -
»Jetzt erst recht«
vom 09.05.2022 -
Mann für alle Felle
vom 09.05.2022 -
Nachschlag: Der lange Arm
vom 09.05.2022 -
Vorschlag
vom 09.05.2022 -
Veranstaltungen
vom 09.05.2022