Ackern bis zum Umfallen
Von Oliver Rast
Umsätze und Profite – alles für die Businessbilanz der Bosse. Eine Folge: Unfälle am Arbeitsplatz, zuweilen tödliche. Jährlich am 28. April gedenken Gewerkschaften der Beschäftigten, die arbeitsbedingt erkrankt oder zu Tode gekommen sind. Auch im Freistaat Sachsen. »Arbeit darf nicht krank machen und nicht tödlich sein«, betonte Daniela Kolbe am Donnerstag gegenüber jW. Jeder Arbeitsunfall sei einer zuviel und müsse verhindert werden, so die Vizevorsitzende des DGB-Bezirks Sachsen weiter.
Den Workers’ Memorial Day gibt es seit 1984. Belegschaftsorganisationen in Kanada haben ihn begründet. Der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB) nahm den Tag 1999 in seinen Aktionskalender auf. Seitdem stellt der globale Dachverband den Jahrestag unter ein spezielles Thema. Diesmal: psychische Belastungen an der Werkbank, am Bürotisch oder im Homeoffice. Kolbe: »Diese Stressfaktoren müssen ernst genommen werden, sind kein Randthema.«
Zahlen Verunglückter erhebt die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) für den Bund und die Länder. Die aktuellsten für das Jahr 2020 liegen vor. Zunächst bundesweit: Demnach sank die Zahl der meldepflichtigen Arbeitsunfälle von 871.547 im Jahr 2019 auf 760.492 im Jahr 2020. Ein Rückgang von knapp 13 Prozent. Die Zahl der meldepflichtigen Wegeunfälle ging um rund 18 Prozent auf 152.823 zurück. Bei tödlichen Arbeitsunfällen verzeichnet die Statistik gegenüber dem Vorjahr eine Abnahme um 98 auf 399 Todesfälle. Die Zahl der tödlichen Wegeunfälle ist von 309 auf 238 gesunken. Und für Sachsen: 38.572 meldepflichtige Arbeitsunfälle, davon 22 tödlich (2019: 14), und 8.570 meldepflichtige Wegeunfälle, davon zwölf tödlich (2019: 13). Die teils stärker gesunkenen Fallzahlen erklären die DGUV-Statistiker zuvorderst mit den Lockdowns der Coronakrise.
Unverändert hingegen ist das: Besonders von berufsspezifischen Unglücksfällen betroffen sind Werktätige auf Baustellen und in Industriebetrieben. Abstürze von Fassadengerüsten oder Erschlagenwerden von herabfallenden Gegenständen – das sind oft letale Gefahren. Um so mehr, wenn unter hohem Zeitdruck und enormer physischer Belastung Mehrwert produziert werden muss.
Auch sonst: Sachsen schneidet im Bundesvergleich mies ab. Das besagt der »DGB-Index gute Arbeit«. Demnach würden Arbeitszeitlage und -intensität von den Beschäftigten in Sachsen schlechter bewertet als im Rest der Republik, weiß Kolbe. Ein Grund: Im Freistaat werde doppelt soviel in Schichtarbeit malocht als sonst im Bund, sagte Gerhard Liebscher, arbeitsmarktpolitischer Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion, am Donnerstag zu jW.
Überraschend findet Nico Brünler (Die Linke) das sächsische Abschneiden nicht. Jahrelang sei die Arbeitsschutzbehörde des Landes personell zusammengestrichen worden, kritisierte der Sprecher für Wirtschaftspolitik und Arbeitsmarkt seiner Landtagsfraktion gleichentags im jW-Gespräch. Und: Die Wahrscheinlichkeit sei nicht sehr hoch, »dass Betriebe zwecks Arbeitsschutzcheck besucht werden«, bemerkte Brünler ironisch. Die Fachaufsicht obliegt dem Sächsischen Staatsministerium für Wirtschaft und Arbeit unter Martin Dulig (SPD). Der Minister habe zwar den personellen Kahlschlag gestoppt, mehr aber nicht.
Was braucht es noch? Beschäftigte müssten in Schutzvorschriften exakt eingewiesen werden, forderte die Vizeregionalleiterin der IG BAU für Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen, Ulrike Steiner-Dietrich, gegenüber dieser Zeitung. Mehr noch: Unternehmer, die Arbeitsschutzmechanismen des Gewinns wegen außer Kraft setzten, gehörten bestraft. »Beim Job zu Tode oder danach nicht mehr nach Hause kommen ist nicht hinnehmbar.« Und Punkt, so Steiner-Dietrich.
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