Vor dem Ruin
Von Hansgeorg Hermann, Paris
Sieglos und hoch verschuldet: Frankreichs erfolglose Wahlkämpfer verschicken Bettelbriefe. Die Summen, die der Staat auch jenen Kandidaten auszahlt, die nach dem ersten Wahldurchgang auf der Strecke blieben und sich nicht für die Stichwahl am nächsten Sonntag qualifizieren konnten, reichen bei weitem nicht aus, um deren teure Kampagnen zu bezahlen. Traditionsreiche Parteien wie die rechtskonservativen Les Républicains (LR) oder der Parti Socialiste (PS) stehen, einmal mehr, vor dem finanziellen Ruin. Weil Valérie Pécresse (LR) und Anne Hidalgo (PS) nicht einmal fünf Prozent der Stimmen einfahren konnten, bleibt nun auch die Staatsknete weitgehend aus. Die bürgerliche Rechte, Sozialdemokraten und die Grünen (EE-LV) belasteten ihre Konten für den Wahlkampf mit Millionenkrediten, die demnächst zurückbezahlt werden müssen.
Das französische Wahlgesetz erlaubt den Parteien für die »Présidentielle« Kampagnenbudgets in Höhe von maximal 16,85 Millionen Euro. Der Staat erstattet jenen, die mindestens fünf Prozent der Wählerstimmen erreichten, 47,5 Prozent des angenommenen Höchstbetrags – also rund acht Millionen Euro. Für jene, die auf einen niedrigeren Stimmenanteil kamen, bleiben nur 4,75 Prozent Rückerstattung, also 800.000 Euro statt acht Millionen.
Schon die Kampagne für die Präsidentschaftswahl im April/Mai 2017 hätte den PS – von seinem ehemaligen Staatschef François Hollande in den fünf Jahren seines Mandats weit nach rechts gerückt – fast in den Bankrott getrieben. Der damalige Kandidat Benoît Hamon kam mit seinen im ersten Wahldurchgang erreichten 6,36 Prozent der Stimmen nicht einmal in die Nähe der zweiten Runde; die staatliche Rückerstattung der Wahlkampfkosten reichte nicht, der PS musste am Ende seinen historischen Pariser Parteisitz verkaufen: Das repräsentative Hôtel particulier in der Rue Solférino im Herzen der Metropole ging für 45 Millionen Euro an die Airbus-Tochter Apsys, die es inzwischen für 125 Millionen an das Duftstoffkonglomerat Interparfums weitergab. Die Sozialdemokraten zogen um in das Pariser Banlieue Ivry-sur-Seine, in ein tristes Backsteingebäude, das eher einer Konservenfabrik ähnelt als einer Ideenschmiede für die politische Zukunft das Landes.
Selbst dieser schmerzliche Abschied aus dem Herzen der Metropole markierte nicht den absoluten Tiefpunkt des PS. Anne Hidalgo, immerhin Bürgermeisterin von Paris, unterbot ihren einstigen Parteifreund Hamon mit 1,74 Prozent der Wählerstimmen deutlich. Ein Wahlkampfdefizit in Millionenhöhe, das nach Angaben der Parteiführung vermutlich einige der zahlreichen Nebenorganisationen und Stiftungen des PS werden ausgleichen müssen.
Lauter noch als Hidalgo rief in der vergangenen Woche die Rechtskonservative Pécresse um Hilfe. Fünf Millionen Euro seien vom – bis dahin offenbar gut gepolsterten – Familienkonto in ihre Kampagne geflossen. Das karge Ergebnis von 4,78 Prozent der Wählerstimmen verhindere nun, dass das fest eingerechnete Geld aus der Staatskasse die entstandene Finanzlücke wieder schließt. Pécresse hofft, wie ihr grüner Konkurrent Yannick Jadot (4,63 Prozent der Stimmen) auf das Verständnis und das Portemonnaie der Anhänger – noch am Wahlabend bat die gläubige Katholikin ihre christlichen Wähler »schleunigst« um möglichst fette milde Gaben.
Probleme dieses Kalibers sind der faschistoiden Rechten des Landes eher fremd. Marine Le Pen, die am kommenden Sonntag zur Stichwahl gegen den aktuellen (rechtsliberalen) Präsidenten Emmanuel Macron antreten wird, erreichte im ersten Durchgang den zweiten Platz – die acht Millionen aus der Staatskasse sind ihr – wie auch dem Faschisten Éric Zemmour – schon jetzt sicher. Den Kredit in Höhe von 10,7 Millionen Euro, den ihr die ungarische Bank MKB auf Anraten ihres örtlichen Fürsprechers, des Premiers Viktor Orban, genehmigte, wird sie damit nicht gänzlich begleichen können. Wie ihr Konkurrent Zemmour, der im selben Wählerlager 7,07 Prozent der Stimmen fischte, kann sie allerdings auf die nicht nachlassende Spendierfreude gewisser Konzernherren bauen; und natürlich auf neue Staatsknete für die Parlamentswahlen im kommenden Juni.
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