Nah an Konflikten
Von Oliver Rast
Es war ein Zwischenfazit, der Trend ist eindeutig: Das Gros der Mandate bei den seit Anfang März und noch bis Ende Mai laufenden Wahlen zu Betriebsräten (BR) entfalle auf Metaller, stellte Birgit Dietze am Montag vormittag erleichtert fest. »Voten, die uns sehr stärken.« Die Bezirksleiterin der IG Metall (IGM) Berlin, Brandenburg, Sachsen hatte in die traditionsreiche, mit zahlreichen Messingelementen verzierte Verwaltungsstelle der IGM nach Berlin-Kreuzberg geladen: hybride Pressekonferenz (PK).
Sekundiert wurde Dietze von Pressesprecher Markus Sievers sowie den Betriebsratsvorsitzenden des BMW-Werks Leipzig, Jens Köhler, und des Stahlwerks Arcelor Mittal Eisenhüttenstadt, Dirk Vogeler. Der Grundtenor der versammelten Gewerkschafter: »Mehr denn je brauchen Beschäftigte einen handlungsfähigen Betriebsrat«, betonte die Bezirksleiterin stellvertretend. Zumal in Zeiten von Krise, Krieg und Katastrophen.
Rückenwind bei den BR-Wahlen habe die IGM durch den Abschluss des Rahmentarifvertrags in der Metall- und Elektroindustrie zur 35-Stunden-Woche im vergangenen Sommer erhalten, so Dietze. Die Ost-West-Angleichung erfolge stufenweise, zahlreiche Betriebsvereinbarungen seien bereits unter Dach und Fach, sagte die Bezirksleiterin auf jW-Nachfrage. Es gebe zwar keine »einheitliche Blaupause«, dafür aber eine klare Orientierung. Und die sieht wie aus? Im laufenden Jahr sinkt die Arbeitszeit von 38 auf 37 Wochenstunden, bis 2024 auf 36, um im Jahr 2026 das Niveau von 35 Werkstunden pro Woche zu erreichen. Dietze: »Davon werden 75 Prozent unserer Mitglieder in den im Arbeitgeberverband organisierten Unternehmen profitieren.«
Zuspruch von Beschäftigten hat auch Köhler im Leipziger BMW-Standort gespürt. 34 von 35 Betriebsratsposten gingen demnach an IGM-Vertreter, sagte der BR-Chef auf der PK. Probleme gibt es aber auch. Coronabedingte Produktionsengpässe wegen hoher Inzidenzen bei Kollegen zum Beispiel. Manchmal sei es beim Personal »echt knapp gewesen«. Hinzu komme der Mangel an Halbleitern. Der Ukraine-Krieg wirke sich hingegen nur geringfügig auf die Fertigung in der Messestadt aus. Dringlicher sei die Nachwuchsfrage. »Fachkräfte sind auf dem freien Markt faktisch nicht zu kriegen.« Mit dem werkseigenen Berufsbildungszentrum werde es künftig besser, hofft Köhler.
Andernorts ist Lage wegen des Krieges anders. In Eisenhüttenstadt in Ostbrandenburg etwa. Ohne Gas keine Stahlproduktion, weiß Vogeler, der dem örtlichen Betriebsrat vorsteht. Er warnte die Bundesregierung davor, »den Gashahn eigenhändig zuzudrehen«. Sonst wäre die Dekarbonisierung und Transformation dieses Industriesektors gefährdet, akut sogar. Vogeler zufolge solle der Standort ein integriertes Hüttenwerk bleiben, dazu müsste der Hochofen durch wasserstoffbasierte Elektroöfen ersetzt werden. »Die Standortsicherung ist das beherrschende Thema in der Belegschaft«, unterstrich der BR-Chef gegenüber jW. Über den Vertrauensleutekörper würden Kollegen in die BR-Arbeit einbezogen. »Wir haben unser Ohr ganz nah an der Mannschaft.« Nur, was müsste Arcelor Mittal in Eisenhüttenstadt während des Komplettumbaus investieren? »Wir haben das durchgerechnet«, so Vogeler, »rund zwei Milliarden Euro.« Bund und EU seien ferner gefragt, etwaige Fördermittel »müssen konsequent an eine Garantie des Standorts geknüpft sein«, fordert der Betriebsrat.
Ein Großkonzern der Region blieb bei der PK unerwähnt, kam erst auf jW-Nachfrage zur Sprache: der US-Elektroautobauer Tesla in Grünheide. Das Management von Firmenboss Elon Musk hatte die IGM ausgetrickst, BR-Wahlen still und heimlich angesetzt. Nicht nur das: die IGM bekam keine eigene BR-Liste zusammen. Dennoch: Einen Durchmarsch erzielte die »arbeitgebernahe Liste« nicht, »zehn von 19 Sitzen«, sagte Bezirkschefin Dietze. Aufbauarbeit sei nun das Motto. Dietze: »Hier ruckelt sich noch viel zusammen.« Am Ende würde sich die IG Metall als die für die Automobilindustrie zuständige Gewerkschaft durchsetzen, auch bei Tesla, ist sie sich sicher.
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