»Wir stehen vor einer Mammutaufgabe«
Interview: Jan Greve
Beim Landesparteitag von Die Linke in Brandenburg sind Sie am vergangenen Wochenende mit rund 69 Prozent der Delegiertenstimmen zum neuen Kovorsitzenden gewählt worden. Erst an dem Freitag hatten Sie Ihre Kandidatur bekanntgegeben. Wie sicher waren Sie sich, dass Sie gewählt werden würden?
Ich hatte in den letzten Wochen viele Gespräche, um eine Lösung dafür zu finden, wie wir möglichst geeint die Aufgaben, die vor uns stehen, angehen. Kurz vor dem Parteitag wurde mir klar, dass dies mit den bisherigen Kandidaturen nur schwer der Fall sein wird. Zugleich erreichten mich viele Bitten, meinen Hut in den Ring zu werfen. Das habe ich dann getan, um ein Angebot zu machen: Ich will möglichst alle Perspektiven und Erfahrungen einbinden und unsere Landespartei zu neuen Erfolgen führen.
Ihnen gehe es um »eine geeinte Landespartei«, haben Sie gesagt. Nun gibt es mit der Coronapandemie oder der Antwort der NATO auf den Ukraine-Krieg Themen, die eine kontroverse Auseinandersetzung in einer linken Partei verlangen. Ist für Sie der Streit um politische Positionen automatisch etwas Schlechtes?
Nein, aber es ist die Frage, wie wir streiten. Und da habe nicht nur ich das Gefühl, dass wir hier eine andere Kultur brauchen. Wenn es um Inhalte geht, muss hart in der Sache diskutiert werden. Wenn dann aber Entscheidungen getroffen werden, müssen die auch getragen werden.
Die Frage ist doch: Ist das Ergebnis der Bundestagswahl, bei der Die Linke in Brandenburg mit 8,5 Prozent ihr Zweitstimmenergebnis im Vergleich zu 2017 halbierte, eine Folge von Streit? Oder besteht das Problem nicht eher darin, dass die Positionierung als klare politische Alternative nicht erkennbar gewesen ist und parteiinterner Widerstand dagegen zu wenig stattgefunden hat? Braucht es also nicht mehr Streit, nur in die richtige Richtung?
Mit der »richtigen Richtung« ist das so eine Sache. Wer legt die fest? Die erstreitet man sich, entscheidet und geht dann gemeinsam los. Ja, wir müssen klare Alternativen aufzeigen, die mehr sind als die SPD plus zwei Euro mehr Mindestlohn. Aber die finden wir nur, wenn wir uns nicht immer wieder im Kreis drehen.
Ihr gescheiterter Gegenkandidat Norbert Müller wirbt für einen Austritt Deutschlands aus der NATO. Ist es für Sie vorstellbar, dass eine »geeinte« Linkspartei diese Forderungen vertritt?
Die Linke fordert nicht den Austritt aus der NATO, sondern deren Auflösung und ein neues Sicherheitsbündnis. Aber ist das aktuell gerade die Debatte, die wichtig ist? Wir müssen schnellstens für Frieden sorgen und deutlich machen, dass wir als Partei auf der Seite des Völkerrechts stehen. Putin muss seinen Angriffskrieg sofort beenden, genauso, wie auch das NATO-Mitglied Türkei seine Angriffe auf Kurdistan beenden muss.
Auch in Brandenburg diskutiert Die Linke darüber, ob sie sich auf Regierungsbeteiligung oder Oppositionsarbeit orientieren sollte. Sie haben auf dem Parteitag gesagt, Die Linke müsse endlich »ins Machen« kommen. Das klingt nach dem Wunsch, möglichst bald wieder mit der SPD zusammen zu regieren, wie es zwischen 2009 und 2019 der Fall war.
Für mich ist die Frage Opposition oder Regierung nicht entscheidend. Wir stehen vor einer Mammutaufgabe: unsere Landespartei zu erneuern und überzeugend für Menschen zu machen, um dann mit ihnen gemeinsam für bezahlbare Mieten, gute Löhne und gegen Aufrüstung zu streiten. Das meine ich mit »ins Machen« kommen. Wir setzen die »Kenia«-Regierung als Opposition unter Druck und streiten dabei für Mehrheiten, die uns ermöglichen, unsere Inhalte umzusetzen. Dafür wird eine Partei gewählt.
In Regierungsverantwortung hat Ihre Partei zuletzt die Verschärfung eines Polizeigesetzes und die Aufnahme der »Schuldenbremse« in die Landesverfassung mitgetragen. Ist das für Sie Ausdruck linker Politik?
Dass wir die Seen im Land in öffentlicher Hand gesichert haben, dass wir das erste Bundesland mit einem Vergabemindestlohn waren oder dass wir flächendeckend Gemeinschaftsschulen aufgebaut haben, das war Ausdruck linker Politik. Wir haben vielleicht manchmal Themen nach vorn gestellt, bei denen wir deutlich Schlimmeres verhindert haben – zum Beispiel den Staatstrojanereinsatz auf Handys oder Computern im Zuge des Polizeigesetzes. Da haben wir sicher zu viel Kraft aufgewendet. Aber wir haben gelernt und lernen.
Sebastian Walter ist neuer Landeskovorsitzender von Die Linke in Brandenburg
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