Zwischen Russland und China
Von Eike Seidel
Wie nahezu alle Staaten der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) mit Mitglieds- und Beobachterstatus hat sich die Mongolei bei der Abstimmung in der UNO gegen den Angriff Russlands auf die Ukraine der Stimme enthalten. Dies hat in der Mongolei zu Demonstrationen geführt, die von anfänglich wenigen Dutzend in der Zwischenzeit auf einige hundert Teilnehmer angewachsen sind. Dabei wird – als Beleg für die schon lange intensiven Beziehungen der Mongolei zur Ukraine – darauf verwiesen, dass der Vater des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij als sowjetischer Bergauingenieur am Aufbau der bis heute wichtigsten Bergbau- und Industriestandorte Erdenet und Darchan beteiligt gewesen ist.
Seit der »Wende« 1990 wurde die Mongolei insbesondere im Bergbau ein Eldorado für ausländische Investoren. Mit den weltweit günstigsten Bedingungen für Investoren begann die Ausplünderung des Landes. Wie in allen sogenannten postsozialistischen Gesellschaften entstanden Strukturen, in denen Oligarchen in wechselnden Konstellationen die politische Macht und den Reichtum des Landes unter sich aufteilen. Zu den beiden einzigen Nachbarn China und Russland bestehen durchaus widersprüchliche Beziehungen und Befindlichkeiten aufgrund der historischen Erfahrungen.
Diese Situation versucht die Mongolei durch die Politik des »dritten Nachbarn« (insbesondere USA, Kanada, EU und Japan) zu neutralisieren. So fand seit vielen Jahren ein internationales Manöver der UN-Friedenstruppen unter dem Titel »Khaan Quest« in dem asiatischen Binnenland statt, an dem neben Russland und China auch die US-Armee teilnahm. Seit Beginn der Coronapandemie sind diese Manöver ausgesetzt worden.
Als einziger asiatischer Staat, der keine ehemalige Republik der UdSSR war, wurde die Mongolei 2012 das 57. Mitglied der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Über zehn Jahre waren die mongolischen Streitkräfte Partner der Bundeswehr bei dem NATO-Einsatz in Afghanistan. Im Rahmen eines bis 2022 geplanten Programms baut die Bundeswehr in der Mongolei eine Gebirgsjägertruppe auf. Im Jahr 2012 wurde das Land »globaler Partner« der NATO (ein eher symbolischer Akt) und auch Trainingsgebiet für US-amerikanische Truppen – was schon eher reale Bedeutung hat. Die US-Zeitschrift The Diplomat berichtete im August 2019: »Ein hochrangiger US-Beamter sagte, dass die Vereinigten Staaten ihre Zusammenarbeit mit der Mongolei in den Bereichen Verteidigung und Nachrichtendienste ausbauen wollen, da sich die Mongolei aufgrund ihrer Lage ideal für Abhörposten und Überwachungsstationen eignet, um beide US-Gegner (Russland und China, jW) zu beobachten. Der Beamte war nicht befugt, Einzelheiten öffentlich zu erörtern, und sprach unter der Bedingung der Anonymität.«
Doch die Hauptländer, die unter dem Konzept »dritter Nachbar«, das sich prinzipiell auf alle zentralen Akteure der Geopolitik als Nachbarn bezieht, laufen, haben in vergangener Zeit Rückschläge erleiden müssen. So musste der Bergbaukonzern Rio Tinto mehrere Milliarden US-Dollar Forderungen an den mongolischen Staat abschreiben, um überhaupt noch eine der weltgrößten Kupfer- und Goldminen in der Wüste Gobi weiterentwickeln zu können. Die ehemals vom Konzern Krupp-Atlas angekündigte Kohleverflüssigung wird nun von China finanziert. Die Kohle aus einem der weltweit größten Tagebaue für Kokskohle, Tawan Tolgoi, wird nach China exportiert, eine neue Lithiummine wird mit großem Anteil einheimischen Kapitals entwickelt. Besonders wichtig ist der Bau der Pipeline Power of Siberia II, mit der Gas in einer mit Nord Stream 2 vergleichbaren Größenordnung über die Mongolei nach China geleitet werden soll.
Auf lange Sicht wahrscheinlich wichtiger ist, dass immer mehr Mongolen in der Volksrepublik eine qualifizierte Ausbildung absolvieren und die westlichen Länder dabei zunehmend in Rückstand geraten. Zudem bieten – ganz ähnlich wie in vielen afrikanischen Staaten – die chinesischen Investitionen einer aufstrebenden neuen Mittelschicht Perspektiven
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