Bittsteller Kairo
Von Jakob Reimann
Ägypten ist mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) über mögliche Hilfskredite in Verhandlungen getreten. Wegen des Krieges in der Ukraine ist die Wirtschaft des Landes unter hohen Druck geraten. Angedacht sei nun ein neues Programm, um die Wirtschaftsreformen des Landes voranzutreiben, teilte das Kabinett in Kairo vergangene Woche mit, ohne jedoch Angaben zur Höhe neuer Kredite zu machen. Das Kabinett erklärte den Bedarf nach neuen Geldern damit, dass »zunehmende Unsicherheit und Panik unter Investoren zum Rückgang und Abzug ihrer Investitionen aus vielen Schwellenländern geführt hat«. Der Krieg in der Ukraine habe weltweit »externe Schocks« verursacht und zu »beispiellosen Preissteigerungen« geführt.
So ist Russland der weltweit größte Exporteur von Weizen, zusammen mit der Ukraine zeichnen beide Länder für über ein Viertel der globalen Weizenexporte verantwortlich. Der Krieg hat nun zu einem Ausfall der Exporte geführt, was eine Preisexplosion zur Folge hatte. Der Weltmarktpreis für eine Tonne Weizen stieg seit Jahresbeginn um über ein Drittel auf ein Vierzehnjahreshoch und liegt gegenwärtig bei 380 Euro. Ähnliches gilt für Raps, der so teuer gehandelt wird wie nie zuvor. Ägypten ist der weltweit größte Weizenimporteur; aus Russland und der Ukraine stammen über 80 Prozent dieser Einfuhren. Laut Angaben der ägyptischen Regierung reichen die Weizenreserven des Landes noch rund vier Monate. Der Bedarf bis zum Jahresende könne zwar aus eigener Produktion gedeckt werden, doch macht sich zunehmend Sorge um die Ernährungssicherheit der Bevölkerung breit. Nach Angaben des Welternährungsprogramms leidet mehr als jedes fünfte ägyptische Kind unter fünf Jahren an Unterernährung.
In Ägypten werden täglich rund 275 Millionen Brote produziert. Um dem Anstieg der Lebenshaltungskosten entgegenzuwirken, deckelte Premierminister Mustafa Madbuli den Brotpreis, wie Deutsche Welle am Sonntag berichtete. Ein 90-Gramm-Fladen darf nun nicht mehr als ein ägyptisches Pfund (rund fünf Cent) kosten. Die Maßnahme soll auch ein Wiederaufflammen der sogenannten Brotaufstände verhindern – 2011 und zuletzt 2017 kam es zu gewaltsamen Ausschreitungen, nachdem die Regierung die Subventionen auf Brot gesenkt hatte. Knapp ein Drittel der rund 105 Millionen Einwohner lebt in Armut, 70 Prozent der Bevölkerung sind auf Staatshilfen angewiesen. Nun hat die Regierung angekündigt, weitere 450.000 Familien in Hilfsprogramme aufzunehmen und die Bezüge staatlicher Arbeitnehmer zu erhöhen.
Der IWF bereitet mit der Regierung des Militärherrschers Abdel Fattah Al-Sisi nun Verhandlungen über ein neues Rettungsprogramm vor. Gemeinsame Ziele seien dabei »wirtschaftliche Stabilität« und nachhaltiges Wachstum. Bereits 2016 hatte der IWF Ägypten mit einem Kredit in Höhe von zwölf Milliarden US-Dollar (etwa elf Milliarden Euro) ausgeholfen und im Gegenzug wirtschaftliche Reformen verlangt. 2020 erhielt das Land dann zwei weitere IWF-Kredite in Höhe von insgesamt etwa acht Milliarden Dollar, um die Folgen der Coronapandemie abzufedern. Mit einer Auslandsverschuldung von rund 173 Milliarden US-Dollar ist Ägypten nach Südafrika das am höchsten verschuldete Land Afrikas.
In einer außerplanmäßigen Sitzung hatte die ägyptische Zentralbank im März erstmals seit 2017 den Leitzins um einen Prozentpunkt erhöht und dies mit der steigenden Inflation und Sorgen vor Kapitalflucht begründet. Das ägyptische Pfund verlor gegenüber dem US-Dollar seitdem rund 15 Prozent seines Werts – der größte Verlust seit fünf Jahren. Es darf bezweifelt werden, dass neue IWF-Gelder die von Korruption und Misswirtschaft gezeichnete Volkswirtschaft nun stabilisieren werden. Das Geld müsse dem öffentlichen Interesse dienen, nicht den regierungsnahen Eliten des Landes, mahnt Timothy Kaldas vom Washingtoner Thinktank Tahrir Institute for Middle East Policy an: »Leider war genau das über Jahre eine der Prioritäten dieser Regierung.«
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