»Genossenschaften? Wir brauchen mehr davon«
Interview: Sigurd Schulze
In den Großstädten und in den Ballungsgebieten Deutschlands herrscht Mangel an Wohnraum, vor allem an bezahlbarem. Die Immobilienkonzerne nutzen das zur Mietpreistreiberei und zur Verdrängung von Menschen mit geringem Einkommen. Hat die Ampelkoalition darauf die richtigen Antworten?
In Deutschland fehlen fünf Millionen Sozialwohnungen. Ihr Bestand hat sich von rund 2,1 Millionen im Jahr 2006 auf aktuell unter 1,2 Millionen reduziert. Die Bauministerin Klara Geywitz, SPD, spricht von 100.000 Sozialwohnungen, die pro Jahr gebaut werden sollen (laut Koalitionsvertrag handelt es sich dabei um »öffentlich geförderte Wohnungen« und damit auch um Eigenheime, jW). Doch Wohnungsbau allein löst unsere Probleme nicht. Darüber hinaus hält die Regierung an der »Mietpreisbremse« fest und will sie verlängern. Dabei gibt es nur einen Nachteil: Diese Maßnahme bremst die Mieten nicht.
Welche Forderungen für eine zielgerichtete Wohnungspolitik hat Die Linke?
Wir brauchen mehr Geld für mehr sozialen Wohnungsbau. In Zukunft muss gelten: einmal Sozialwohnung, immer Sozialwohnung. Darüber hinaus wollen wir den Mietendeckel auf Bundesebene.
Die Wohnungsgenossenschaften verwalten einen relevanten Teil des Bestands. Welchen Platz würden Sie ihnen in der Wohnungsversorgung einräumen?
Genossenschaften sind eine großartige Erfindung! Wir brauchen mehr davon. Wohnungen sollen keine Ware sein, sondern sie sind ein Menschenrecht. Die Mitglieder der Genossenschaft sollen über ihre Wohnung mitbestimmen und entscheiden, wenn es um Sanierungen, Investitionen und Mieten geht.
Nun haben ja gerade in Berlin viele Vorstände von Wohnungsgenossenschaften den 2020 vom Senat verabschiedeten und ein Jahr später vom Bundesverfassungsgericht kassierten Mietendeckel abgelehnt. Vier Genossenschaften hatten sogar Verfassungsbeschwerde eingelegt. Zudem streuten Vorstände das Gerücht, mit dem Volksentscheid »Deutsche Wohnen und Co. enteignen« würden auch die Genossenschaften mit mehr als 3.000 Wohnungen enteignet. Stellen Sie sich so eine sinnvolle Positionierung von Wohnungsgenossenschaften vor?
Gegen den Mietendeckel gab es einen Sturm der Entrüstung von allen, die mit Wohnungen sehr viel Geld verdienen. Das Verhalten einiger Vorstände von Genossenschaften hat mich verwundert. Ebenfalls beim Volksentscheid. Sie wären von einer Enteignung bekanntlich nicht betroffen.
Die Initiative »Genossenschaft von unten« hat für diesen Sonnabend zu einem alternativen Genossenschaftskongress aufgerufen. Sie fordert eine Wende in der sozialen Orientierung der Wohnungsgenossenschaften, hin zu einer Öffnung für Geringverdiener. Zum Beispiel soll Beschäftigten von Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, Altenheimen und kommunalen Betrieben die Mitgliedschaft und die Versorgung mit einer preiswerten Wohnung angeboten werden. Würden Sie das unterstützen?
Genossenschaften sollten ihre Wohnungen auf jeden Fall nach sozialen Kriterien vergeben. Wie diese Kriterien aussehen, sollten die Genossenschaften auf ihren Mitgliederversammlungen besprechen und entscheiden.
Angesichts der Teuerung bei Lebensmitteln, Strom, Gas, Benzin, Heizöl und Dienstleistungen fordert die Initiative »Genossenschaft von unten« in den Genossenschaften ab sofort keine Mieten mehr zu erhöhen. Sollte eine Mieterhöhung notwendig sein, sollen das die Mitglieder entscheiden. Sie sind selbst Mitglied einer Genossenschaft. Wie finden Sie das?
Ich bin sehr froh über meine Plattenbauwohnung. Die Mieten hier sind für Berliner Verhältnisse sehr moderat. Soweit ich weiß, sind in meiner Genossenschaft keine Erhöhungen angekündigt. Genossenschaften und kommunale Wohnungsgesellschaften sollten ihren Beitrag leisten, damit auch in Zukunft Mieten für alle Menschen bezahlbar bleiben. Der Mietenspiegel ist da schon lange kein sinnvoller Maßstab.
Gesine Lötzsch ist stellvertretende Vorsitzende und haushaltspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Die Linke
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