Irland bleibt neutral
Von Dieter Reinisch, Galway
Die Teilung Irlands wird im Verhalten zum Ukraine-Krieg zunehmend sichtbar. Während im nordirischen Belfast vom französischen Unternehmen Thales tragbare Panzerabwehrraketen für die ukrainische Armee gebaut werden, versucht Dublin entgegen Zurufen von rechts an der Neutralität festzuhalten.
Am Montag legte erstmals seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine ein Frachter mit russischen Waren im Hafen der irischen Hauptstadt an. Ausgerechnet der Gewerkschaftsverband SIPTU forderte, den Frachter zu blockieren und die Waren nicht abzuladen. Bereits zuvor hatte er zwei Tage lang auf Anker vor der Küste gelegen, da die Hafenbehörde nicht wusste, ob ein russischer Frachter aufgrund der EU-Sanktionen einfahren darf.
Am Montag abend erklärte Transportminister Eamon Ryan, zugleich Parteichef der Grünen, dass das Schiff entladen werden soll. In einem Schreiben an alle Hafenbetreiber betonte er, Irland betreibe weiterhin Handel mit Russland. »Die Einfuhr von russischen Waren auf russischen Schiffen oder auf Schiffen, die unter russischer Fahne in irischen Gewässern verkehren, ist durch EU-Sanktionen nicht verboten«, so der Minister. Der Tanker »STI Clapham« mit 15 Tonnen russischem Diesel fährt unter der Fahne der Marschallinseln. Am Dienstag begann das Abpumpen des Diesels, das 36 Stunden dauert.
Die Republik Irland ist seit ihrer Unabhängigkeit 1922 neutral. Trotz der politischen Nähe zu den USA und Großbritannien ist die NATO-Ablehnung in der Bevölkerung ausgeprägt. Statt dessen engagiert sich das Land intensiv in der UNO. Ab 1958 nahmen irische »Blauhelme« an Einsätzen im Libanon und dem Kongo teil, derzeit ist das Land Mitglied des UN-Sicherheitsrats.
Rechte Politiker und bürgerliche Kommentatoren versuchen nun, im Fahrwasser des Ukraine-Kriegs Stimmung gegen die Neutralität zu machen. Micheál Martin von der konservativen Fianna Fáil verlangte vergangene Woche im Parlament »eine Debatte über die Neutralität«. Er forderte die Einberufung eines Bürgerforums zum Thema. Die Verfassung verlangt eine Volksabstimmung bei jeder Änderung des Neutralitätsstatus. Martin reagierte dabei auf eine Rede des trotzkistischen Abgeordneten Richard Boyd-Barrett (People Before Profit). Der hatte erklärt: »Es gibt derzeit ein Zetergeschrei, um die Krise in der Ukraine auszunutzen und Irland von seiner traditionellen Position der militärischen Neutralität weg und näher an die NATO hinzuführen.«
Zuvor hatten die beiden unabhängigen, linken EU-Abgeordneten Michael Wallace und Clare Daly gegen die einseitige Verurteilung Russlands und Sanktionen durch die EU, die hauptsächlich die arbeitende russische Bevölkerung treffen, gestimmt. Der deutsche EU-Berichterstatter für die Ukraine, Michael Gahler, betonte daraufhin, Wallace und Daly seien »irrelevant« und ihre Meinung »nicht von Bedeutung«. Auf den Türen ihrer Brüsseler Büros wurden Naziaufkleber angebracht.
Außenminister Simon Coveney vom ebenfalls konservativen Koalitionspartner Fine Gael schob der Debatte um einen NATO-Beitritt einen Riegel vor. In seiner jährlichen Rede vor dem Irischen Institut für europäische Angelegenheiten verurteilte er die russische Invasion und betonte: »Irland war niemals moralisch, ethisch und politisch neutral.« Zugleich stellte er klar: »Es ist nicht wahrscheinlich, dass Irland irgendwann der NATO beitreten wird.« Statt dessen müsse sich Irland als »blockfreies Land selbst um seine militärische Verteidigung kümmern«. In einer am 6. März veröffentlichten Umfrage von Ireland Thinks unterstützen nur 37 Prozent der Iren einen NATO-Beitritt.
Unklar ist weiterhin die Position von Sinn Féin, die bisher russlandfreundlich und NATO-feindlich waren. Seit Anfang März fordert die Partei gemeinsam mit Labour die Ausweisung des russischen Botschafters. Letzte Woche verschwanden Hunderte Stellungnahmen, die die Zerschlagung des NATO-Militärblocks forderten, aus dem Pressearchiv der Parteihomepage – offiziell wegen »Wartungsarbeiten«. Beobachter vermuten dagegen, dass der Ukraine-Krieg zukünftige Regierungsverhandlungen nicht erschweren soll.
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