NATO legt Lunte
Von Jörg Kronauer
Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij hat die Forderung nach der Errichtung einer Flugverbotszone über der Ukraine bekräftigt. »Ich brauche Ihre Hilfe, um den ukrainischen Himmel zu verteidigen«, sagte Selenskij am Mittwoch in einer Rede vor beiden Kammern des US-Kongresses. Die Forderung wird unverändert von einigen NATO-Staaten unterstützt, obwohl sie nach allgemeiner Überzeugung unmittelbar zu Luftkämpfen zwischen Flugzeugen der NATO und Russlands führen würde. So äußerte Estlands Verteidigungsminister Kalle Laanet am Rande des Treffens mit seinen NATO-Amtskollegen am Mittwoch, alle Länder, die eine Flugverbotszone kontrollieren könnten, »müssen handeln«. Der ehemalige Vorsitzende des NATO-Militärausschusses Harald Kujat nannte das Drängen in einem Medieninterview »unverantwortlich« und warnte offen, lasse die NATO sich darauf ein, dann stehe sie »an der Schwelle zu einem Nuklearkrieg«.
Offenbar auf der Suche nach alternativen Eingriffsmöglichkeiten für den Militärpakt hat Polen am Mittwoch für eine Bodenintervention in der Ukraine geworben. NATO-Truppen sollten auf Einladung von Präsident Selenskij auf »ukrainischem Territorium agieren« und dort »humanitäre und friedliche Hilfe« leisten, verlangte der stellvertretende polnische Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski nach der Rückkehr von einer Reise nach Kiew, die er gemeinsam mit den Ministerpräsidenten Polens, Tschechiens und Sloweniens unternommen hatte. Dabei müsse die Interventionstruppe »in der Lage sein, sich selbst zu verteidigen«. Das Vorhaben, das wohl gleichfalls auf einen NATO-Krieg gegen Russland hinausliefe, stößt in dem Bündnis – noch – mehrheitlich auf Ablehnung. Bundeskanzler Olaf Scholz etwa sprach sich am Mittwoch gegen jede Form eines direkten Kriegseintritts der NATO aus.
Statt dessen diskutierten die NATO-Verteidigungsminister neue Maßnahmen zur Hochrüstung der Ostflanke. Bereits vorab hieß es, man könne davon ausgehen, dass das Bündnis sich nicht mehr an die NATO-Russland-Grundakte aus dem Jahr 1997 halten werde. Darin hatte die NATO unter anderem auf die dauerhafte Stationierung »substantieller Kampftruppen« in ihren neuen Mitgliedstaaten in Ost- und Südosteuropa verzichtet. Wie es jetzt heißt, werden künftig wohl bedeutende Kampfverbände in relativer Nähe zur russischen Grenze aufgestellt. Die Bundeswehr begann am Mittwoch mit der Verlegung des Flugabwehrsystems Patriot in die Slowakei. Dort werden Truppen von insgesamt rund 2.100 Soldaten stationiert, ein Drittel von ihnen aus Deutschland. US-Präsident Joseph Biden wollte am Mittwoch weitere Militärhilfen für die Ukraine im Wert von rund 800 Millionen US-Dollar ankündigen – und zwar zusätzlich zu den 200 Millionen US-Dollar, die er am Wochenende in Aussicht gestellt hatte.
Um eine Verhandlungslösung bemüht ist – neben Israel – weiterhin die Türkei. Am Mittwoch traf Außenminister Mevlüt Cavusoglu zu einem Gespräch mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow in Moskau ein. Am Donnerstag wird er zu Gesprächen in der Ukraine erwartet. Details wurden zunächst nicht bekannt. Der EU-Botschafter in Ankara, Nikolaus Meyer-Landrut, torpedierte die Vermittlungsbemühungen mit der Forderung, die Türkei solle die Russland-Sanktionen der EU endlich einhalten. Eine gewisse Neutralität gilt in Ankara als zentrale Voraussetzung dafür, zwischen Moskau und Kiew vermitteln zu können.
Weitere Beiträge zum Krieg in der Ukraine u.a. im jW-Kommentar, jW-Porträt, Aufmacher Seite 2, Aufmacher Außenpolitik und in unserem Aufmacher auf der Medienseite
Die junge Welt online lesen
Die Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist in der Friedensfrage oder zu Sozialabbau anders. Sie liefert Fakten, Hintergrundinformationen und Analysen. Das Onlineabo ist ideal, zum recherchieren und informiert bleiben. Daher: Jetzt Onlineabo abschließen!
Ähnliche:
- Eastnews/imago26.02.2022
Projekt Einkreisung
- REUTERS/Gleb Garanich28.10.2021
Drohnenangriff im Donbass
- Ukrinform/dpa08.07.2021
Wetten auf den Krieg
Manni Guerth