Widerstandslos bürgerlich
Von Christian Bunke
An diesem Sonntag ist Sir Keir Starmer seit einem Jahr Parteichef der britischen Sozialdemokraten. In dieser Zeit ist es ihm gelungen, fast jeden noch so bescheidenen Nutzen der Labour-Partei für die sozialen Bewegungen auf der Insel zu schleifen. Ein Beispiel: Diese Woche gab Alexander Sobel, Labour-Abgeordneter für den Wahlkreis Leeds North-West, ein Podcastinterview. Darin äußerte er seine instinktive Abneigung gegenüber Vertretern des Großkapitals: »Als ich Abgeordneter wurde, dachte ich, ich werde mich niemals mit diesen Leuten treffen. Diese Leute sind der Feind.«
Diesen Satz wollte Starmer nicht unwidersprochen lassen. Über die Medien teilte der Parteichef mit: »Unter meiner Führung habe ich immer klar gemacht, dass die Labour-Partei wirtschaftsfreundlich ist. Wir sind mehr als wirtschaftsfreundlich. Wir wollen eine Partnerschaft mit der Wirtschaft. Alex Sobel weiß, dass seine Aussagen falsch waren. Er hat sich bei mir entschuldigt.«
Man kennt solche Entschuldigungen. Sie sind selten freiwillig. Starmer hat während seiner bisherigen Amtszeit dafür gesorgt, dass jeder, der nicht auf Linie ist, rausfliegt. Sein Amtsvorgänger Jeremy Corbyn ist bereits seit Monaten aus der Unterhausfraktion ausgeschlossen. Auch andere prominente Vertreterinnen und Vertreter des linken Flügels, wie die frühere umweltpolitische Sprecherin Rebecca Long-Bailey, sind längst abserviert worden. Überall, wo die Aussicht besteht, dass ein Ortsverband linke Persönlichkeiten für Kommunal- oder Parlamentswahlen aufstellen könnte, greift Starmers Parteizentrale ein und hebelt den demokratischen Prozess aus. Starmer sorgt dafür, dass nur Politiker mit bürgerlichen Positionen an Posten gelangen.
Die Leichtigkeit, mit der Starmer sein Regime etablieren konnte, ist bemerkenswert. Widerstand aus Partei und Gewerkschaften beschränkte sich großteils auf Petitionen und in Artikeln formulierte Unmutsbekundungen. Die kurze Zeit, in der der linke Parteiflügel mit Corbyn die Parteiführung innehatte, wurde nicht zum Aufbau widerstandsfähiger organisatorischer Strukturen genutzt. Entsprechend einfach gelingt Starmer die Repression.
Das wichtigste Erbe der Corbyn-Ära ist an anderer Stelle zu finden. Seine Amtszeit förderte einen nachhaltigen Politisierungsschub bei der britischen Jugend. Die Auswirkungen sind bei den Protesten gegen sexistische und rassistische Polizeigewalt sowie neue autoritäre Gesetze, Mietstreiks gegen unwürdige Quarantänebedingungen in privatisierten Studierendenwohnheimen und einer Reihe von Arbeitskämpfen zu beobachten. Nach dem Scheitern des parlamentarischen Weges kämpft die politisierte Jugend zunehmend auf der Straße für ihre Rechte. Die notwendige, aber schwierige Aufgabe einer nachhaltigen und widerstandsfähigen Organisierung stellt sich aber auch hier.
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