Erdogans Putsch
Von Sevim Dagdelen
Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan will auf Nummer sicher gehen. Bei den Umfragen für die kommenden Parlamentswahlen in der Türkei liegt die Volksallianz, ein Bündnis aus der islamistischen AKP und der faschistischen MHP, hinten und kommt auf knapp über 40 Prozent. Nachdem Massenverhaftungen und Amtsenthebungen von HDP-Politikerinnen und -Politikern immer noch nicht den gewünschten Effekt gebracht hatten, geht der Despot jetzt aufs Ganze. Ziel der Operation Parteiverbot ist die Machtsicherung am Bosporus.
Wie in der Vergangenheit arbeitet Erdogan hier mehr plump als geschickt mit konstruierten Terrorvorwürfen gegen die demokratische Opposition. Wie in Zeiten Mussolinis und des italienischen Faschismus, wo infolge des Mordes an dem sozialistischen Abgeordneten Giacomo Matteotti 1925 die drangsalierte Opposition verboten wurde, scheint auch Erdogan in seiner nächsten Herrschaftsphase auf direkte Parteiverbote setzen zu wollen. Erdogans Regime, aber auch seine islamistisch-faschistische Bewegung, die ihn trägt, braucht diese Zuspitzung wie die Luft zum Atmen, nachdem der Versuch, die innenpolitische Misere durch einen Zwergimperialismus nach außen zu kompensieren, fehlgeschlagen ist. Keine Annexion von Teilen Syriens und des Irak, keine Drohungen gegenüber den Nachbarländern Griechenland und Zypern, keine Militärhilfe für das Regime in Baku wiegen die schlechte Wirtschaftslage in der Türkei auf.
Doch Erdogan kann sich weiter auf seine beiden wichtigsten Verbündeten stützen, auf Washington und Berlin. Sicher, die Biden-Administration hat den Verbotsantrag kritisiert. Allein, sie tut trotzdem alles, um die Türkei in der NATO bei Laune zu halten. Und genau das ist Erdogans Freifahrtschein. Noch schlimmer aber sieht es in Berlin aus. Mit Blick auf den EU-Gipfel kommende Woche halluziniert die Bundesregierung über eine angebliche deeskalierende Politik der Türkei und hält eisern an Waffenlieferungen und Wirtschaftshilfen für Erdogan fest. Wie weit die Kumpanei mit Erdogan geht, zeigt eindrücklich die Erklärung des Auswärtigen Amts zum HDP-Verbot. Man übernimmt faktisch Erdogans Terrorvorwürfe gegen die HDP und fordert von ihr »eine klare Abgrenzung von der PKK, die auch in der EU als terroristische Organisation gelistet ist«. Statt einer Solidarisierung folgt die Bundesregierung schlicht den Verdächtigungsvorgaben Erdogans und gibt die HDP damit zum Abschuss frei.
Wer mit der HDP solidarisch sein will, der muss gegen diese Rückendeckung für den NATO-Partner Erdogan aus Berlin und Washington angehen. Es braucht jetzt eine breite Bewegung für ein Ende der deutschen Rüstungsexporte und der Vergünstigungen im Rahmen der Zollunion mit der Türkei. Hoch die internationale Solidarität.
Sevim Dagdelen ist Obfrau der Fraktion Die Linke im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages
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