Heils Bezugsscheine
Von Susan Bonath
Ohne medizinische Einwegmaske kommt ab jetzt niemand mehr in Busse, Bahnen und Geschäfte. Wieder einmal hatte die Bundesregierung den ärmeren Teil der Bevölkerung bei dem Beschluss nicht mitgedacht. Doch wer als Alleinstehender 17, als Partner 15 und als erwachsenes oder jugendliches Familienmitglied rund 13 Euro jeden Monat für die gesamte Körperpflege zur Verfügung hat, kann nicht einfach 20 Euro für wenige Tage Maskenvorrat ausgeben. Die Alternative wäre: weniger oder schlechter essen, die kaputten Schuhe weitertragen, das Jobcenter oder Sozialamt um ein Darlehen ersuchen. Bisher waren die Rufe der Sozialverbände nach einem Pandemiezuschuss für Ärmere an der Regierung abgeprallt. Nun, nach der Einführung der bußgeldbewehrten Pflicht, schwenkt Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) um.
So verkündete Heil in einer am Freitag veröffentlichten Videobotschaft seinen guten Willen. Man müsse schauen, wie man in der Pandemie mit den sozialen Unterschieden umgeht, sagte der Minister. Er sprach von einem »Krisenmodus« und »sozialen Sorgen«, die »vor allem Kinder, Ältere, Alleinerziehende, Menschen mit Behinderungen und Langzeitarbeitslose« belasteten. Damit die Bevölkerung »sozial zusammen bleibt«, müsse bei einer Pflicht für medizinische Masken auch gesichert werden, dass Betroffene versorgt seien, so Heil. Man müsse ihnen wenigstens Bezugsscheine für die Produkte zur Verfügung stellen, welche Ältere bereits erhielten. Sein Programm: »Wir arbeiten mit Hochdruck an Konzepten für einen Coronazuschuss und wollen das so schnell wie möglich umsetzen.«
Es geht dem SPD-Mann also speziell um den Erwerb von Einwegmasken, weniger um geschlossene Tafeln, fehlende Ausstattung für geforderte Heimbeschulung der Kinder, wegfallende kostenlose Schul- und Kitamahlzeiten, höheren Stromverbrauch für tägliches Kochen und so weiter. Doch selbst diese Rechnung hat Heil ohne die Koalitionspartner seiner Fraktion, die Unionsparteien CDU und CSU, gemacht. Man wollte am Wochenende darüber beraten, versprach Heil. Bisher aber stemmte sich die Union strikt gegen jeden Zuschuss für die Ärmeren. Einziger Hoffnungsschimmer: Kurz zuvor, am Donnerstag, hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erklärt, wenn die Pflicht für diese Medizinprodukte über viele Wochen gelte, müsse die Regierung darüber nachdenken, »ob wir an dieser Stelle noch mal nachbessern müssen oder nicht«.
Sozialverbände wie Tacheles rieten schon nach dem vorangegangenen bayerischen Vorstoß zur FFP-2-Maskenpflicht dazu, beim Jobcenter oder Grundsicherungsamt einen Mehrbedarf zu beantragen. Werde dies abgelehnt, könne man wenigstens dagegen klagen. Doch die rechtlichen Mühlen mahlen meistens langsam. Eine »Sofortunterstützung für Bedürftige« forderte vergangene Woche die Diakonie. Die Coronakrise reiße tiefe Löcher in deren schmalen Geldbeutel, sagte Maria Loheide vom Vorstand. Auch Caritas-Präsident Peter Neher mahnte, die Regelsätze seien »so knapp kalkuliert, dass notwendige, unvorhersehbare Ausgaben unmöglich zu schultern sind«. Für Arme wären auch zwei Euro Zuzahlung zuviel, so Neher. Die Linke-Kovorsitzende Katja Kipping erinnerte daran, dass ihre Partei seit Beginn der Pandemie einen Zuschlag auf existenzsichernde Sozialleistungen fordert. Sie und die Grünen begrüßten Heils Ansinnen zwar, sein Vorschlag komme allerdings ein Dreivierteljahr zu spät, hieß es.
Unter der sogenannten Armutsgefährdungsschwelle, die mit 60 Prozent des Medianeinkommens (gut 1.000 Euro pro Monat für einen Alleinstehenden) beziffert wird, lebte Ende 2019 immerhin jeder sechste Bundesbürger. Das geht aus einer aktuellen Antwort von Heils Ministerium auf eine Anfrage der Linke-Bundestagsfraktion hervor, über die die Neue Osnabrücker Zeitung am Wochenende berichtete. Aktuell leben rund 5,6 Millionen Menschen von Hartz IV und mehr als eine Million von Grundsicherung im Alter oder bei Erwerbsminderung.
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