Absturz der Lot
Von Reinhard Lauterbach
Polens staatliche Fluglinie Lot ist auf Schrumpfkurs. Zu Beginn des Jahres kündigte die Geschäftsleitung an, insgesamt 300 festangestellte Beschäftigte zu entlassen: 50 Piloten, 150 Flugbegleiter und 100 Leute aus der Verwaltung. Die geplanten Entlassungen verteilen sich jedoch ungleichmäßig. Bei den Verwaltungskräften sollen zwölf Prozent gehen, bei den Piloten 20 Prozent und bei den Flugbegleitern knapp 30 Prozent. Um etwa zehn Prozent wurden auch die Scheinselbständigkeitsverträge reduziert, zu denen die Lot bereits seit 2016 mehr als die Hälfte ihres Personals genötigt hat. Unter dem Strich wird also der Anteil der Scheinselbständigen unter den Beschäftigten der polnischen Fluglinie weiter anwachsen.
Lot-Vorstandschef Rafal Milczarek begründete die Entlassungen auf einer kurzfristig einberufenen Anhörung des Verkehrsausschusses des polnischen Parlaments damit, dass die Linie im Zuge des Pandemiejahrs 2020 mehr als die Hälfte ihres Umsatzes eingebüßt habe. Die Erträge seien von sieben Milliarden Zloty (1,55 Milliarden Euro) auf 3,1 Milliarden Zloty gesunken. Schon Ende 2020 hatte die Regierung hierauf mit einem öffentlichen Hilfspaket in Höhe von 2,9 Milliarden Zloty einschließlich einer Staatsbeteiligung von 15 Prozent am Kapital der Airline reagiert, und die EU hatte dieses Paket kurz vor dem Jahreswechsel genehmigt – allerdings unter erheblichen Auflagen.
Sie laufen im Kern darauf hinaus, dass die Lot den Staatsanteil innerhalb von sieben Jahren zurückzahlen muss, um anschließend wieder als formal privates Unternehmen zu fungieren. Die Mittel dazu soll sie durch Kostenreduzierungen und »Erhöhungen der Effizienz« erwirtschaften – das ist die Grundlage dafür, dass die Regierung die Entlassungen beim Lot-Personal als Konsequenz aus den Bedingungen der EU darstellen kann. Die haben allerdings auch noch andere Aspekte: So stoppen sie den Expansionskurs, auf den der seit 2016 amtierende und von der Regierungspartei PiS gestellte Milczarek die Lot gebracht hatte. Weitere Übernahmen von Konkurrenten sind untersagt, solange noch Staatsgeld im Unternehmen steckt. 2016 hatte die Lot die estnische Fluglinie Nordica zu 49 Prozent übernommen, im April 2019 zog sich die polnische Linie in letzter Minute von der bereits ausgehandelten Übernahme des deutschen Charterfliegers Condor zurück. Die Übernahme war Teil des generellen Plans von Milczarek, die polnische Fluglinie zum Marktführer im außerrussischen Osteuropa zu machen. Seit 2016 hatte sich die Flotte von Lot verdoppelt, ebenso die Zahl der beförderten Passagiere und der Erträge.
Die Gewerkschaften der Lot-Beschäftigten protestierten gegen die geplanten Entlassungen. Allerdings zeigen sich auch Widersprüche: Die bisherige Strategie des Unternehmens, Planstellen immer weiter zu teilen, stößt an die Grenzen der Akzeptanz, weil davon irgendwann niemand mehr leben kann. Eine Sprecherin der »Gewerkschaftlichen Alternative« sagte in Warschau, durch immer weitergehende Aufspaltung von Stellen sei es heute schon so, dass sogar Piloten sich für weniger als den gesetzlichen Mindestlohn ins Cockpit setzten – von den Flugbegleiterinnen ganz zu schweigen. Ein Steward nahm die Sache sarkastisch: Er habe in seiner Ausbildung gelernt, innerhalb von zwei Minuten 150 Passagiere zu evakuieren; vielleicht könne er sich ja jetzt als Rausschmeißer bewerben. Wenn natürlich erst einmal die Discos wieder aufmachen.
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