Mit Kerze gegen Corona
Von Christian Selz, Kaptstadt
Es war ein leiser Jahreswechsel in Südafrika. Es gebe »wenig Anlass zu Feierlichkeiten«, hatte Staatspräsident Cyril Ramaphosa der Bevölkerung am Montag vor einer Woche per Fernsehansprache ins Gewissen geredet. Drei Tage vor Silvester verhängte der Regierungschef eine ausgedehnte Ausgangssperre von 21 bis sechs Uhr sowie ein generelles Verkaufsverbot für alkoholische Getränke. Südafrika befindet sich mitten in der »zweiten Welle« der Coronapandemie und hat mit stark gestiegenen Infektionszahlen und überlasteten Gesundheitseinrichtungen zu kämpfen.
»Unsere Krankenhäuser, private wie öffentliche, sind in etlichen Provinzen bereits nahe der Kapazitätsgrenzen, und die Betten auf den Intensivstationen sind entweder schon voll belegt oder füllen sich rapide«, konstatierte Ramaphosa. Zudem warnte er: »Wenn wir nicht jetzt und nicht entschieden handeln, wird die Zahl der Infektionen die der ersten Welle weit übertreffen, und Tausende weitere Menschen werden ihr Leben verlieren.« Südafrika verzeichnet fast 30.000 Todesfälle im Zusammenhang mit SARS-CoV-2.
Hinzu kommt die neue Variante des Erregers, die im Land weitverbreitet ist und von Wissenschaftlern für stärker ansteckend gehalten wird. Die Schuld an der »zweiten Welle« sieht der Präsident indes ausschließlich bei der Bevölkerung, die sich nicht ausreichend an Hygiene- und Abstandsregeln sowie die Maskenpflicht halte. »Wir haben unsere Deckung vernachlässigt, und leider bezahlen wir dafür jetzt den Preis«, erklärte der Staatschef und verkündete, dass Verstöße gegen die Maskenpflicht künftig mit bis zu sechs Monaten Haft geahndet werden sollen.
Versäumnisse seiner Regierung räumte Ramaphosa hingegen keine ein. Zwar wies er darauf hin, dass das Gesundheitspersonal »erschöpft« sei und immer häufiger selbst angesteckt werde. Mehr als 40.000 Beschäftigte haben sich seit Beginn der Pandemie allein im öffentlichen Gesundheitswesen infiziert. Konkrete Schutzmaßnahmen leitete der Präsident daraus aber nicht ab, lediglich eine Kerze wollte er an Silvester für das Personal anzünden.
Dabei sind die systemischen Ursachen der Krise im Gesundheitswesen unübersehbar. In den schon vor der Pandemie überlasteten staatlichen Krankenhäusern gelten für Ärzte in manchen Bereichen bereits seit vielen Jahren vertragliche Arbeitszeiten von bis zu 60 Stunden pro Woche. Darüber hinaus werden Überstunden nicht einmal mehr erfasst. Akut kam vielerorts eine mangelhafte Versorgung mit Schutzausrüstung hinzu, deren Ursache maßgeblich in der Veruntreuung von staatlichen Mitteln durch Regierungsbeamte lag. Selbst Ramaphosas Sprecherin ist derzeit suspendiert, weil sie gemeinsam mit ihrem Ehemann versucht haben soll, sich an öffentlichen Aufträgen zur Beschaffung medizinischer Schutzausrüstung zu bereichern. Gegen zwei Söhne des derzeit wegen anderer Korruptionsvorwürfe vor Gericht stehenden Generalsekretärs des regierenden African National Congress (ANC), Elias Magashule, gibt es ähnliche Anschuldigungen.
Trotz der Warnungen vor einer zweiten Welle wurden die Kapazitäten nicht entschieden stärker ausgebaut. In der Provinz Western Cape, in deren Metropole Kapstadt die Auslastung der öffentlichen Krankenhäuser derzeit mit 105 Prozent angegeben wird, wurden nun neue Stellen für Mediziner ausgeschrieben, zudem soll durch zusätzliche Stationen an existierenden Krankenhäusern die Zahl der Betten gesteigert werden.
Für entschiedenere Maßnahmen zur Eindämmung des Virus scheinen der Regierung derweil aus ökonomischen Gründen die Hände gebunden. Die ohnehin marginalen Nothilfen für Menschen, die infolge der Pandemie ohne jegliches Einkommen dastehen, sind längst ausgelaufen. Die Wirtschaft liegt weiter am Boden. Nachdem im zweiten Quartal 2020 nach Angaben des staatlichen Statistikbüros Stats SA 2,2 Millionen Arbeitsplätze gestrichen wurden, wuchs die Zahl der Beschäftigten im dritten Quartal trotz kräftiger staatlicher Programme um lediglich 75.000 an. Insbesondere im Gastgewerbe, das von Ausgangssperre und Alkoholverkaufsverbot besonders schwer getroffen ist, drohen zudem weitere Jobverluste.
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