»Das erinnert an koloniale Traditionen«
Interview: Gitta Düperthal
Am 10. Dezember wurden 43 Geflüchtete von München aus mit einem Charterflug nach Nigeria abgeschoben. Die Selbstorganisation »Refugees4refugees« befürchtet, dass weitere Abschiebungen geplant sind – warum?
Der Druck auf Betroffene nimmt spürbar zu. Geflüchtete werden der Botschaft zugeführt, um ihre Identität festzustellen und Passersatz zu beschaffen. Sie erhielten behördliche Schreiben mit der Aufforderung, Deutschland zu verlassen, obwohl das aufgrund der Coronakrise unmöglich ist. Grenzübertrittsbescheinigungen wurden ausgestellt. Schon während des ersten Shutdowns gaben sich Behörden unbeeindruckt. Offenbar will man die Maßnahmen und Forderungen des Bundesinnenministers Horst Seehofer vorbildhaft umsetzen. Am Freitag landete eine Maschine aus dem niederländischen Amsterdam in Lagos. Wir befürchten, dass auch Bayern eventuell noch vor Weihnachten einen weiteren Abschiebeflug plant.
Sie konstatieren, dass die Abschiebung am 10. Dezember besonders brutal erfolgte. Auf welche Weise genau?
Besonders perfide war, dass Geflüchtete die sich kooperativ zeigten, mit Polizeifestnahme und Handschellen abgeschoben wurden: Nachdem ihr Asylantrag abgelehnt wurde, hatten zwei der Abgeschobenen aus dem Landkreis Rosenheim an einem sogenannten Reintegrationsprojekt der Zentralen Rückkehr Beratung, ZRB, teilgenommen, bei allen Anforderungen mitgewirkt und ihre Pässe rechtzeitig beschafft. Trotzdem holte sie die Polizei wie Kriminelle gegen Mitternacht am 9. Dezember aus den Unterkünften ab. Mit gravierenden Folgen: Der Pass wird mit »Abgeschoben« gestempelt, die Grenzpolizei behält ihre Papiere ein. Davon abgesehen: Dieses Programm der Bundesregierung hat sowieso nichts mit »freiwillig« zu tun. Es ist nur eine geschönte Form der Abschiebung. Dass aber trotz der Mitwirkung der Betroffenen Zwangsmaßnahmen erfolgten, ist ungeheuerlich. Das erinnert an koloniale Traditionen.
Was genau macht die ZRB?
Sie organisiert Kurse des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, wo die Teilnehmer lernen sollen, in Nigeria ein kleines Geschäft zu eröffnen. Unter anderem wirkt die Sparkassenstiftung mit, um Unternehmenspraxis zu simulieren und nach deutschem Vorbild Businesspläne erarbeiten zu lassen. Weiterhin sollen die Teilnehmenden ein Startkapital von mehreren tausend Euro und Sachleistungen erhalten. Der am 10. Dezember abgeschobene Samuel A. hat von der ZRB ein Zertifikat erhalten, der zweite Betroffene hatte den Kurs bereits zwei Wochen lang absolviert. Wir sind mit der Institution in Kontakt. Dort zeigte man sich schockiert, dass die Ausländerbehörde beide dennoch brutal nach Nigeria abgeschoben hat. Aus unserer Sicht ist das respektlos, rassistisch und Vertragsbruch.
Wie erging es den Betroffenen, nachdem sie in Nigeria gelandet waren?
Sie sind traumatisiert, weil sie in Lagos auf der Straße landeten, quasi ohne einen Cent in ihrer Tasche. Sie hatten ja alles »richtig gemacht«. Nach Zwangsmaßnahmen gibt es nur 50 Euro, die sind schnell ausgegeben. Die Abgeschobenen können ohne Geld keine sichere Region ansteuern, wo sie nicht verfolgt werden. Nigeria ist voll von mafiösen Banditen und Korruption. Die EU zerstört dort Existenzen kleiner Bauern; Großkonzerne schaden der Landwirtschaft, beuten Ressourcen aus. Zugleich geht die Polizei aktuell brutal gegen junge Leute vor, die sich den Aufständen angeschlossen haben, um gegen die Massenarbeitslosigkeit zu demonstrieren.
Welcher Aufgabe widmet sich Ihre Organisation?
Wir beobachten die Repressionen gegen Nigerianer im vermeintlich hochentwickelten und demokratischen Deutschland. Und mit unserem Netzwerk Deportees Emergency Reception and Support in Nigeria konnten wir solidarische Menschen in Lagos organisieren. Sie empfangen die Abgeschobenen, unterstützen sie mit einer ersten Unterkunft, Kontaktvermittlung oder einer Fahrkarte, damit sie zu ihrer Familie zurückkönnen.
Rex Osa ist Sprecher der Selbstorganisation »Refugees4Refugees – Flüchtlinge für Flüchtlinge«
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