Nadelstiche gegen Amazon
Von Oliver Rast
Sonntag nacht, 23.15 Uhr. Streikbeginn. Verdi hat Amazon-Beschäftigte zum Arbeitsausstand bis einschließlich Heiligabend aufgerufen. Bestreikt wurden die logistischen Drehscheiben des Onlineriesen in diesem Jahr bereits mehrmals. An sechs Standorten hierzulande rechnet die Gewerkschaft Verdi mit rund 1.700 Streikenden, die sich auf verschiedene Versandzentren verteilen.
Es geht um einen Tarifvertrag – konkret: um die Anerkennung der Flächentarifverträge des Einzel- und Versandhandels durch den Konzern sowie den Abschluss eines Tarifvertrages für gute und gesunde Arbeit. Die Unternehmensspitze behauptet hartnäckig, die Tätigkeiten im Versand seien nicht dem Handel, sondern der Logistik zuzurechnen. Deshalb orientiere man sich auch an Entgelten, die in diesem Sektor üblich seien. Amazon teilte am Montag mit, Beschäftigte profitierten bereits von »exzellenten Löhnen, exzellenten Zusatzleistungen und exzellenten Karrierechancen«. In der Logistik sind nach Konzernangaben in Deutschland rund 16.000 Menschen fest angestellt, zusätzlich helfen 10.000 Saisonkräfte aus. Aktuell betreibt Amazon 15 Logistikzentren, die Kundenbestellungen bearbeiten.
Verdi will den Druck weiter hoch halten, greift direkt ins Weihnachtsgeschäft von Amazon ein. Durch die Schließung des stationären Einzelhandels in der vergangenen Woche habe sich das Bestellaufkommen bei Versandhändlern noch einmal deutlich gesteigert, wird Verdi-Bundesvorstandsmitglied Stefanie Nutzenberger in einer am Montag verbreiteten Mitteilung zitiert. »Während Amazon seine Milliardengewinne weiter erhöht, verweigert die Geschäftsführung den Beschäftigten eine tarifvertragliche Bezahlung.« Das seien schließlich Mindestbedingungen, kritisierte die Gewerkschafterin.
Coronabedingt ist es kein typischer Streik. Kein Marsch durch die Lagerhallen samt Protestkundgebung vor den Toren des Versandzentrums. »Wir organisieren einen Stay-at-home-Streik«, sagte Philip Keens, Verdi-Streikleiter am Amazon-Standort Werne im Kreis Unna, am Montag im jW-Gespräch. »250 bis 300 Kollegen dürften sich bei uns beteiligen«, schätzt Keens. Genaueres weiß er erst, wenn ihn die verschickten Streikunterlagen an die Kollegen wieder erreichen.
Gewerkschafter beobachten, dass Amazon nichts unversucht lässt, die Streikfront zu schwächen. Mit einer Anwesenheitsprämie für Beschäftigte von zwei Euro extra pro Stunde etwa. In Einzelfällen treten auch unternehmensnahe Betriebsräte auf, um Streikwillige umzustimmen und die Gewerkschaftsarbeit von Verdi schlechtzureden, weiß Keens. Nur: »Betriebsräte hätte Amazon niemals zugelassen, wenn wir nicht permanent Arbeitskämpfe geführt hätten«, betont er.
Am Amazon-Standort in Rheinberg bei Duisburg standen am Montag tagsüber Streikposten, berichtete der zuständige Verdi-Streikleiter Tim Schmidt gegenüber jW. »Das sind die Ansprechpartner für unsere Kollegen bei den Schichtwechseln«, so Schmidt. Hinter den Standorttoren seien zudem mehrere Vertrauensleute telefonisch mit der Streikleitung in Kontakt.
Amazon-Sprecher reagieren auf die Arbeitsausstände so, wie sie zuvor auf Streiks reagierten: Sie demonstrieren Gelassenheit. Demnach hätten die Streikaktionen keine Auswirkungen auf Kundenlieferungen, der allergrößte Teil der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeite ganz normal, verlautbarte der konzerneigene Pressestab am Montag via Agenturen.
Gewerkschafter Schmidt hält das für eine PR-Masche. Die Standortleitung in Rheinberg wirke zunehmend nervös und gereizt. Hektisch seien betriebsintern Leute von einem Posten auf den anderen berufen worden, um streikbedingte Personallücken zu schließen. Des weiteren wurden Lkw auf andere Zentren »umgeroutet«, erzählt Schmidt. Er ist sich sicher: »Wir fügen Amazon seit Monaten Nadelstiche zu, bisweilen richtig schmerzhafte.«
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