Experten für Katastrophen
Von Christof Schmid
Ein Verschollener ist wiederzuentdecken. Hans Erich Nossack (1901–1977), in den 50er und 60er Jahren einer der Großen der deutschsprachigen Literatur, den Jean Paul Sartre als authentische Stimme Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg feierte, dessen Bericht von der Zerstörung Hamburgs, »Der Untergang«, Thomas Mann als »Werk für immer« pries, den Siegfried Lenz einen »unerregten Protokollanten« und einen »Experten für Katastrophen« nannte und von dem Marcel Reich-Ranicki sagte, er sei »der Vornehmste von allen«, war plötzlich verschollen. Verschollen trotz höchster Auszeichnungen wie Büchner-Preis und Orden pour le Mérite. Verschollen im Literaturgetriebe, um das er sich nie gekümmert hat und von dem er sich gegenüber seinem Verleger Siegfried Unseld mit der Bemerkung distanzierte, seine Arbeiten seien keine kurzfristigen Spekulationsobjekte, sondern »langfristige Wertpapiere«.
Doch nun ist er wiederzuentdecken. Im September erschien ein wichtiger Artikel von Michael Krüger in der NZZ über Nossacks Epidemieroman »Bereitschaftsdienst« (1973), und nun liegt auch eine umfassende Biographie des Hamburger Autors Daniel Dubbe vor: »Außerhalb. Das Leben und Schreiben des Hans Erich Nossack«. Dubbe beschreibt das oft atemberaubende Leben eines großen Autors: die Doppelexistenz als Kaffeekaufmann und Schriftsteller; die Tarnung und das Außerhalb als seine großen literarischen Themen; das Schreiben als seine einzige Möglichkeit der Existenz. Nach der Lektüre dieser gleichermaßen beeindruckenden Biographie, die ihrem Gegenstand mit kritischer Empathie begegnet und die Faszination des Biographen von seinem Gegenstand stets mit thematisiert, wird man nicht anders können, als sich Nossack selbst zuzuwenden.
Daniel Dubbe: Außerhalb. Das Leben und Schreiben des Hans Erich Nossack. Günther Emigs Literaturbetrieb, Niederstetten 2020, 390 Seiten, 20 Euro
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