Abzocke im Holzschuppen
Von Steffen Stierle
Steuerwettbewerb findet nicht nur auf internationaler Ebene statt. Auch die Kommunen in der BRD buhlen um die Gunst des Kapitals. Ein beliebtes Lockmittel kleiner Gemeinden im Umland großer Städte sind niedrige Gewerbesteuersätze. Eine Gemeinde in Oberbayern und eine Gruppe zwielichtiger Investmentgesellschaften haben es offenbar zu bunt getrieben. Das Finanzamt fordert nun 23,5 Millionen Euro zurück. Das könnte der Anfang vom Ende eines Steuerparadieses im Wald sein.
Wie die Süddeutsche Zeitung am Wochenende berichtete, war die Stadt München auf eine Gewerbeimmobilie im nahegelegenen Ebersberger Forst aufmerksam geworden. Auf dem Waldgrundstück unter der Adresse St. Hubertus 2 steht in direkter Nachbarschaft zum Forsthaus ein runtergekommener Holzschuppen. An dem wiederum hängt ein Briefkasten, der das Bauwerk als Hauptsitz mehrerer Unternehmen ausweist, die Namen wie etwa H. F. S. Leasingfonds GmbH tragen. Soweit, so unglaubwürdig.
Nichtsdestotrotz konnte die Gemeinde über Jahre gutes Geld mit dem Modell verdienen. Angefangen hatte die Geschichte bereits 2004, als der Landrat auf die Idee kam, in Zeiten knapper Kassen einen auf Panama zu machen. Der Hebesatz der Gewerbesteuer im Forst wurde auf 200 Punkte gesenkt, das erst kurz vorher eingeführte rechtlich zulässige Minimum. Eigentlich sollte der Mindesthebesatz dem Steuerdumping auf kommunaler Ebene Einhalt gebieten, nachdem zuvor die schleswig-holsteinische Gemeinde Norderfriedrichskoog mit ihren rund 40 Einwohnern als gewerbesteuerfreie Zone auf sich aufmerksam gemacht hatte und unter anderem Konzerne wie Lufthansa, Deutsche Bank, Siemens und Lidl angezogen hatte.
Doch auch mit einem Minimalhebesatz von 200 Punkten lassen sich Steuersparer anlocken, bedeutet er doch, dass von 100 Euro Gewinn gerade einmal sieben Prozent an den Fiskus abgeführt werden müssen. In der Kreisstadt Ebersberg liegt der Satz schon bei 360, im nahegelegenen München bei 490 Punkten. Zwar konnte in dem Wald aufgrund der Klassifizierung als Naturschutzgebiet nicht gebaut werden, was ihn als angehendes Gewerbegebiet auf den ersten Blick ungeeignet erscheinen lässt. Doch der Schuppen stand schon da, und einen Briefkasten dranzuhängen erfordert keine größeren baulichen Maßnahmen.
Gesagt, getan. Die Adresse erfreut sich als Hauptniederlassung in der Geschäftswelt seither großer Beliebtheit. Schließlich lässt sich dort der Fiskus offenbar völlig legal hintergehen. Man zahlt ja schließlich regulär Steuern. Nur eben sehr wenig. Doch ganz so rechtens wie es aussieht, ist das Gebaren wohl doch nicht. Schließlich haben ja zehn bis 20 internationale Firmen nicht wirklich allesamt ihren Hauptsitz in einem Bretterverschlag neben dem Forsthaus.
Deshalb brauchen sie weitere Adressen. Und die wurden nun in München gefunden, wo offensichtlich einige der Firmen ihren wirklichen Hauptsitz haben. Also alles außer dem Briefkasten. Zumindest gibt es in der Landeshauptstadt Adressen, bei denen Firmen mit sehr ähnlichen Namen und sehr ähnlichen Tätigkeitsfeldern ausgemacht werden konnten. Daher reklamiert die Stadt München die fraglichen Steuereinnahmen für sich. Das Finanzamt Ebersberg fordert die Millionen vom Landkreis zurück. Bei 14,25 Millionen Euro handelt es sich um zu Unrecht kassierte Steuereinnahmen, der Rest sind Zinsen. Für die Firmen könnte es allerdings noch teurer werden: Wenn sich bestätigt, dass die Steuereinnahmen der Stadt München zustehen, gilt auch der dortige Hebesatz. Aus den 14,25 Millionen Euro würden dann rechnerisch 34,9.
Ob es soweit kommt, bleibt allerdings abzuwarten. Landrat Robert Niedergesäß (CSU) hatte bereits am Donnerstag Einspruch gegen die Rückforderung des Finanzamtes angekündigt. Notfalls wolle man klagen. Niedergesäß erwartet einen mehrjährigen Rechtsstreit. Sollte er den verlieren, könnten noch viele weitere Adressen von Firmen auftauchen, die seit 2004 im Ebersberger Forst zum Steuersparen gastierten. Auf den Landkreis kämen dann noch weit höhere Nachzahlungen zu, und mit dem Steuerparadies im Wald wäre es ohnehin vorbei.
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