Präsident, der dritte
Von Volker Hermsdorf
Das peruanische Parlament hat den Abgeordneten der sozialdemokratischen Mitte-rechts-Partei »Partido Morado«, Francisco Sagasti, am Montag (Ortszeit) mit 97 zu 26 Stimmen zum neuen Staatschef gewählt. Der 76jährige Wirtschaftsingenieur und ehemalige Weltbank-Mitarbeiter soll die Regierungsgeschäfte bis Juli nächsten Jahres koordinieren und das Amt nach den für den 11. April geplanten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen an ein von der Bevölkerung gewähltes neues Staatsoberhaupt übergeben. Sagasti ist Nachfolger des am Sonntag zurückgetretenen »Übergangspräsidenten« Manuel Merino, gegen den jetzt wegen Amtsmissbrauch und vorsätzlichen Mordes ermittelt wird. Bei Massenprotesten gegen Merino waren am Sonnabend mindestens zwei Menschen getötet und rund hundert Personen schwer verletzt worden.
»Heute ist kein Tag zum Feiern«, räumte Sagasti nach seiner Wahl durch das Parlament ein. Er könne die Getöteten nicht wieder zum Leben erwecken, versprach aber, »Maßnahmen zu ergreifen, damit so etwas nicht wieder geschieht«. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger bezeichnete Sagasti die Proteste der vergangenen Tage als berechtigt. »Das, was wir auf den Straßen sehen, ist der Schrei nach Reform und Veränderung, damit wir alle die gleichen Chancen haben«, erklärte der neue Staatschef. Er wolle »Peru endlich zu einer Republik der Gleichheit für alle machen«, sagte er. Sagasti hatte vor einer Woche gegen die von Merinos Anhängern organisierte Entlassung des damaligen Präsidenten Martín Vizcarra gestimmt, die die landesweiten Proteste ausgelöst hatte. »Wenige Monate vor den Wahlen im April wird ein Regierungswechsel nichts lösen und mehr Unsicherheit schaffen«, hatte der innerhalb einer Woche nunmehr dritte Präsident des südamerikanischen Landes derzeit gewarnt.
Ob es Sagasti gelingt, Peru aus der Krise zu führen, wie bürgerliche Medien kommentierten, ist jedoch fraglich. »Was Peru derzeit erlebt, ist keine einfache politische Krise, sondern eine systematische Staatskrise«, analysierte der Jurist und Anthropologe Ollantay Itzamná die Situation für den lateinamerikanischen Nachrichtenkanal Telesur. Eine Neuwahl der Machthaber könne diese Krise ebensowenig lösen wie die Parlamentswahlen im April, sagte er voraus. Als Grund für die Proteste sieht Itzamná »das neoliberale Regime, das sich auf die Verfassung von 1993 stützt«. Diese sei mit einem Putsch durchgesetzt und autoritär ausgearbeitet worden, erläuterte der Ethikforscher und Rechtswissenschaftler José Carlos Llerena auf Telesur die Zusammenhänge. Die derzeitige Systemkrise des Staatsapparats sei im wesentlichen ein Konflikt der herrschenden Eliten mit ihren unterschiedlichen wirtschaftlichen und politischen Interessen, der im peruanischen Parlament ausgetragen wird. Die Interessen des Volkes spielten dabei keine Rolle. »Wir haben keine Gesundheit, wir haben keine Arbeit, wir haben keine Rente, wir haben absolut nichts«, kritisiert Llerena.
Eine Verfassungsreform nach dem Muster Chiles sei deshalb dringend notwendig und eine der Voraussetzungen zur Lösung der Krise, begründete Itzamná die Forderung vieler Demonstrierender nach einer verfassunggebenden Versammlung. In der Wirtschaft müssten die Rückeroberung der privatisierten Unternehmen, Güter und Dienstleistungen durchgesetzt sowie staatlichen und öffentlich-rechtlichen Wirtschaftsakteuren mehr Raum neben den dominierenden privaten Konzernen eingeräumt werden. »Der Staat muss zum zentralen Akteur in der Wirtschaft werden und aufhören, ein einfacher Polizist zu sein, der die Interessen des Privatsektors durchsetzt«, forderte Itzamná.
Auch die linke Präsidentschaftskandidatin Verónika Mendoza tritt für eine grundsätzliche Änderung des politischen Systems ein. »Eine neue Verfassung wird jedoch nicht von dieser politischen Klasse, die mit dem Rücken zum Volk steht, vorangebracht«, konstatierte Mendoza während der Proteste gegenüber der spanischen Onlinetageszeitung eldiario.es. »Es liegt an uns, den Bürgern, sie zu erkämpfen und mit dem Aufbau eines neuen Sozialpakts zu beginnen, der Peru anders gestaltet«, erklärte sie.
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