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Aus: Ausgabe vom 09.09.2020, Seite 11 / Feuilleton

Eberhard Czichon gestorben

Als der marxistische Historiker Eberhard Czichon am 8. August seinen 90. Geburtstag beging, wies Arnold Schölzel auf dieser Seite auf ein Buch hin, das Czichon mit Koautor Heinz Marohn 1999 unter dem Titel »Das Geschenk« herausgebracht hatte. Gegenstand dieses Buches ist der »Verrat der Gorbatschow-Riege« an der verbündeten DDR. »Hier sei vorhergesagt«, schrieb Schölzel, »dass ›Das Geschenk‹ wie eine kleine Bombe irgendwo im wackligen Gebäude, das da im Laufe von drei Jahrzehnten als ›Geschichte der DDR‹ gezimmert wurde, liegt und irgendwann seine Wirkung entfalten wird«.

Czichon wurde in eine kommunistische Familie geboren, war aktiver FDJler und machte zunächst eine Lehre zum Großhandelskaufmann bei der Deutschen Düngerzentrale im sowjetischen Sektor Berlins. Anschließend legte er sein Abitur an einer Arbeiter-und-Bauern-Fakultät ab und studierte Geschichtswissenschaften. Seit 1948 war er SED-Mitglied. 1970 erschien in der BRD sein Buch »Der Bankier und die Macht« über den Deutsche-Bank-Boss Hermann Josef Abs, einen der mächtigsten Männer der Bonner Republik, Arisierer und Finanzier u. a. von Auschwitz. Der unter dem Eindruck der Studentenbewegung in der BRD beginnenden Diskussion über das Bündnis von deutschem Kapital und Faschismus gab dieses Buch einen enormen Schub. In dem folgenden Rechtsstreit mit den Anwälten des Bankiers hätte Czichon mehr Unterstützung seitens seiner Partei verdient gehabt, 1981 wurde er wegen »Unbotmäßigkeit« sogar aus der SED ausgeschlossen. 2010 veröffentlichte er mit Marohn »Thälmann. Ein Report« – 1.200 Seiten in zwei Bänden.

In der Nacht zum Dienstag ist Eberhard Czichon in einem Berliner Krankenhaus gestorben. (jW)

Text von Arnold Schölzel unter kurzelinks.de/czichon

Auszug aus »Das Geschenk« zu den Zwei-plus-vier-Verträgen morgen auf den Seiten 12/13