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Aus: Ausgabe vom 20.05.2020, Seite 11 / Feuilleton

Diese Idee

Große Schauspieler füllen mit Leichtigkeit komplexe Rollen aus. Wie am Montag bekannt wurde, ist am 12. Mai Michel Piccoli gestorben, berühmt seit Jean-Luc Godards »Die Verachtung« (1963), da war er schon 37 und ein gestandenes Theaterensemblemitglied. Er hatte in Pariser Cafés viel über Sartre diskutiert und einmal zum Glück Luis Buñuel zu einer Vorstellung eingeladen. Bevor es Jahre später endlich zur ersten Zusammenarbeit kam, in Mexiko für »Pesthauch des Dschungels« (1956), drehte Piccoli noch mit Jean Renoir (»French Can Can«, 1954) und spielte eine Nebenrolle in Kurt Maetzigs »Ernst Thälmann – Führer seiner Klasse«, dem zweiten Teil über die Jahre 1930 bis 1944. Premiere dieses Films nach einem Szenario von Willi Bredel und Michael Tschesno-Hell war am 7. Oktober 1955.

Ein Vierteljahrhundert später sollte Piccoli rückblickend erklären, er habe sich nie besonders für das Wesen einer Rolle interessiert, sondern immer nur für den gesamten Text, den man ihm vorlegte, und für die Regisseure. »Die Italiener sagen nicht ›Ich bin Schauspieler‹, sie sagen ›Io faccio l’attore‹ (etwa: Ich mache den Schauspieler, jW)«, wurde Piccoli im Nachruf der Süddeutschen (Dienstag) von Susan Vahabzadeh zitiert: »Ich bevorzuge den italienischen Ausdruck ›Io faccio l’attore‹. Ich würde diese Idee gern zu ihrem logischen Ende führen und nur wie eine Marionette spielen.«

Piccoli hat Großbürger und Extremisten verkörpert, komische Zauderer und Zyniker, an der Seite von Catherine Deneuve und Romy Schneider, mit Regisseuren wie Louis Malle, Jacques Rivette und eben Bunuel (»Belle de Jour«, 1967, »Der diskrete Charme der Bourgeoisie«, 1972). In den 70ern war er auch noch der Großstadtkannibale in Claude Faraldos »Themroc« und der dekadente Freak in Marco Ferreris »Das große Fressen«. Dutzende Klassiker, in denen Piccoli Ausdrücke für die Ausweglosigkeit der Lage findet, vom verhuschten bis zum sardonischen Grinsen, vom Selbstmord bis zum Aufstand. (xre)

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