Der Beamer und die Muezzins
Von Grit Lemke
So ein Film ist ja auch nur ein Mensch. Manche kann man nicht leiden, andern nähert man sich vorsichtig. Und es gibt die, in die man sich einfach verliebt. So einer ist »Talking about Trees« des sudanesischen Regisseurs Suhaib Gasmelbari. Ein Dokumentarfilm aus dem Sudan über den Tod, den Versuch einer Wiederbelebung und möglicherweise die Unsterblichkeit des Kinos. Dass der Film von einem Land erzählt, dessen Regisseure man nicht kennt und seine Vorführung keinen Roter-Teppich-Effekt verspricht, ist vielleicht auch der Grund dafür, dass der vermutlich beste Film der Berlinale nicht im Wettbewerb, sondern eher versteckt in der Sektion Panorama läuft.
Ibrahim, Manar, Suleiman und Altayeb sind alte Männer, die sich einen aberwitzig anmutenden Traum erfüllen wollen. In den 60ern und 70ern haben sie Film studiert, alle im Ausland, einer in Moskau und einer in Babelsberg. Jeder von ihnen hat ein beträchtliches Oeuvre teils international preisgekrönter Werke vorzuweisen. 1989 gründete das Quartett die Sudanese Film Group. Im selben Jahr aber bedeutete ein Militärputsch mit anschließender Inkraftsetzung der Scharia und einer andauernden radikalen Islamisierung des Landes auch das Ende der sudanesischen Filmkunst. Die vier Männer gingen ins im Ausland oder ins innere Exil, während in ihrer Heimat die Kinos verwaisten und das nationale Gedächtnis in Form zahlloser Filmrollen buchstäblich im Staub verrottete. Nun aber kehren die vier zurück, mit dem Plan, ein Kino in einem Vorort der Hauptstadt Khartoum wiederzueröffnen. Dabei begleitet sie der Film.
Die vier sind Ritter von der traurigen Gestalt im Kampf gegen schier unbezwingbare Windmühlenflügel, der aber auch an den von David gegen Goliath erinnert. Es beginnt mit kleinen Tücken wie der Frage, ob es Strom gibt oder eben nicht. Die alten Filme sind kaputt oder verschollen. (Im Lauf dieses Films wird es dem Regisseur gelingen, einige wieder aufzutreiben – Ausschnitte zeigen ein afrikanisches Kino jenseits unseres kolonial verstellten Blicks, wie es einmal war und wieder sein könnte.) Es gibt keinen Projektor. Ein Beamer muss gekauft werden: Wovon? Und wie soll man Filme zeigen, wenn jede Vorführung ständig von den Rufen der Muezzins aus den zahlreichen Moscheen in der Nachbarschaft unterbrochen wird? Wie hat man früher eigentlich Filme geguckt, fragen sich die Helden – und kommen darauf, dass es diese penetranten, schon jedes normale Gespräch unmöglich machenden Rufe zum Gebet damals nicht gab. So erzählt der Film ganz beiläufig und ohne die Worte Islam oder Regime jemals zu bemühen, eine große Geschichte, ja ein historisches Epos.
Das tut er mit einem wirklich umwerfenden Charme, voller Liebe und leisem Humor. Denn je verzweifelter die Versuche der Helden sind und je übermächtiger der Gegner – der am Ende natürlich in Form der obersten Zensurbehörde auftritt und alle Bemühungen vereitelt – desto eigensinniger gebärden sich die alten Herren und lachen sich schlapp über die eigene Unvernunft. Dass dieses Lachen bitter ist und dahinter die Zerstörung nicht nur von Karrieren und Lebensträumen, sondern einer ganzen Kultur steht, ist dabei in jedem Moment präsent und macht die Tragikomik und Größe des Films aus. Einer der Männer zitiert die Worte Brechts von den schlimmen Zeiten, in denen das Sprechen über Bäume ein Verbrechen ist, weil es das Schweigen über den Horror impliziert. Und dennoch beharrt der Mensch darauf, über Bäume zu sprechen. Zumindest unsere vier Helden lassen es sich nicht verbieten und begeben sich auch auf die Straßen und in die Nachbarschaft, um den Virus des Kinos zu verbreiten. Unter Jugendlichen, die noch nie eine Filmvorführung erlebten und davon erzählen, was sie sich unter Kino vorstellen. Es wird schmerzhaft deutlich, dass dessen Abschaffung nicht nur eine Leerstelle im Leben der Künstler hinterlassen hat. Eine Liebeserklärung an das Kino, das eben deshalb vielleicht doch unsterblich ist.
»Talking about Trees«, Regie: Suhaib Gasmelbari, Frankreich/Sudan/BRD/Tschad/Katar 2019, 93 min, 14., 16., 17.2.
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