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Aus: Ausgabe vom 18.10.2018, Seite 11 / Feuilleton
#unteilbar

Wir sind mehr, na und?

Von Markus Mohr

Die »#unteilbar«-Demonstration lag irgendwie in der Luft. Spätestens die Ereignisse von Chemnitz haben Ende August unmissverständlich klargemacht: Die Rechten bestimmen seit geraumer Zeit die politische Dynamik auf den Straßen. Wie dagegen Flagge zeigen?

»#unteilbar« gab diesem Bedürfnis Ausdruck. Die Liste der Unterstützerinnen mit mehr als 4.500 Organisationen und »prominenten Einzelpersonen« war so lang wie beeindruckend. Weit mehr als 200.000 Leute folgten einem Aufruf, der sich in sympathischer Weise dagegen verwahrte, »dass Sozialstaat, Flucht und Migration gegeneinander ausgespielt werden«, ansonsten jedoch jede Konfrontation mit der aktuellen Regierung vermied. Um so leichter für Bundesaußenminister Heiko Maaß, sich im Vorfeld begeistert zu zeigen. »Die Mehrheit in Deutschland« stehe für »Toleranz und Weltoffenheit«. In dieselbe Kerbe schlug die Schriftstellerin Eva Menasse, welche an »die schweigende Mehrheit« appelliert, zu zeigen, »wie groß sie ist und wer da alles eigentlich findet, jetzt reicht’s.« Stefan Körzell vom Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes rief während der Auftaktkundgebung auf dem Alexanderplatz gegen »die Spalter, die Schreier, die Hetzer« aus: »Wir sind die Mehrheit!« Und auch eine queer-lesbische DJ-Aktivistin erklärte auf dem Demotruck des Gorki-Theaters unter großem Applaus der Umstehenden: »Heute sehen wir, dass wir mehr sind, und wir zeigen, dass wir viel besser drauf sind als die Nazis von Chemnitz.«

Was für ein eigentümlicher Gedanke, die politische Rechte mit der Ansage beeindrucken zu wollen, sie sei doch eigentlich eine Minderheit. Ja, und? Wurde denn Adolf Hitler bei der letzten freien Reichstagswahl vom November 1932, bei der die NSDAP 33,1 Prozent der Wählerstimmen erhielt, von einer Mehrheit ins Amt gewählt? Nur in einer fabelhaften Biedermeierwelt machen im Kapitalismus Mehrheiten Politik. So wichtig es ist, mit Demonstrationen wie am Sonnabend Zeichen zu setzen – unter der Maßgabe der herrschenden unfreien Verhältnisse sind es die strategisch klug handelnden Minderheiten, welche die Mehrheit für ihre Gesellschaftsvisionen gewinnen.

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