Aus: Ausgabe vom 09.04.2018, Seite 1 / Titel
Schon wieder Gift
Berichte über angeblichen Einsatz chemischer Kampfstoffe in Syrien. Damaskus und Moskau weisen Vorwürfe zurück
Von Stefan Huth
![]() Luftangriffe auf Duma (von den »Weißhelmen« am 7.4.2018 veröffentlichtes Foto)
Foto: Syrian Civil Defense White Helmets via AP
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Bei einem mutmaßlichen Giftgasangriff in der syrischen Region Ostghuta sollen Medienangaben zufolge am Wochenende Dutzende Zivilisten ums Leben gekommen und Hunderte weitere verletzt worden sein. Die Berichte, die zu einem erneuten verbalen Schlagabtausch zwischen Washington und Moskau führten, stützen sich im wesentlichen auf Informationen der Organisationen »Weißhelme« und »Syrian American Medical Society« (SAMS), die die syrischen Truppen für den Einsatz der Substanzen verantwortlich machen. Ein Vertreter der syrischen Regierung wies die Vorwürfe, Giftgas eingesetzt zu haben, indes als »Farce« zurück. Die Regierungsarmee habe es bei ihrem Vorstoß in der Rebellenenklave Ostghuta »nicht nötig, irgendeine chemische Substanz einzusetzen«, sagte er laut der staatlichen Nachrichtenagentur SANA. Auch das russische Militär reagierte. Es handele sich um »fabrizierte Anschuldigungen«, so Generalmajor Juri Jewtuschenko gegenüber der Agentur Interfax.
Den Berichten zufolge traf am Samstag abend eine Fassbombe mit Chlorgas ein Krankenhaus in der Stadt Duma, der letzten Hochburg islamistischer Kämpfer nahe Damaskus. Dabei seien sechs Menschen getötet worden. Ein zweiter Angriff mit verschiedenen Chemikalien habe ein Gebäude in der Nähe getroffen. Dabei seien 35 Menschen ums Leben gekommen. In einer gemeinsamen Erklärung von SAMS und »Weißhelmen« hieß es, mehr als 500 Menschen seien wegen Atemproblemen behandelt worden. Ein Sprecher der in Genf ansässigen Hilfsorganisation syrischer Ärzte (UOSSM) sagte, es gebe 150 bestätigte Todesfälle, und die Zahl steige noch. Im Internet kursierten Videos, die angeblich rund ein Dutzend Leichen von Kindern, Frauen und Männern zeigen, einige mit Schaum vor dem Mund.
Der Wahrheitsgehalt dieser Informationen lässt sich nicht überprüfen. In der Vergangenheit hatte die eng mit den Dschihadisten verbundene private Zivilschutzorganisation »Weißhelme« der syrischen Regierung bereits mehrfach den Einsatz chemischer Waffen vorgeworfen, was von Damaskus stets dementiert wurde. Konkrete Beweise für die Anschuldigungen liegen bis heute nicht vor. Fraglich ist auch, welche Motive Damaskus hätte, in den inzwischen fast vollständig von »Gotteskriegern« befreiten Gebieten in der Ostghuta völkerrechtlich geächtete Kampfmittel einzusetzen. Angesichts der Gefahr zumal, dass Washington dergleichen ein willkommener Anlass für eine militärische Intervention wäre, wie die Reaktionen zeigen, die den jüngsten Gerüchten erneut auf dem Fuß folgten. So verurteilte der US-Präsident über den Kurzmitteilungsdienst Twitter am Sonntag den »sinnlosen Chemieangriff« in Syrien. Die Verantwortlichen müssten einen »hohen Preis« dafür bezahlen, warnte Donald Trump. Er wies Russland und dem Iran eine Mitverantwortung zu, da sie Staatschef Baschar Al-Assad unterstützten. Trump nannte diesen in seinem Tweet ein »Vieh«. Bereits am Samstag hatte die US-Außenamtssprecherin Heather Nauert in einer Mitteilung erklärt, die Berichte über den mutmaßlichen Einsatz chemischer Waffen seien »grauenerregend und erfordern eine umgehende Reaktion der internationalen Gemeinschaft«. Auch Nauert warf Moskau vor, es trage »mit seiner unerschütterlichen Unterstützung für das Regime« eine Mitverantwortung für »diese brutalen Attacken«.
Generalmajor Jewtuschenko sagte unterdessen am Sonntag, dass der Abzug von Rebellenkämpfern aus Duma wieder fortgesetzt werden solle. Dem »Zivilen Verhandlungskomitee« in Duma zufolge seien die Gespräche über einen Waffenstillstand in der Stadt am Sonntag vormittag wieder aufgenommen worden. (mit Agenturen)