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Aus: Ausgabe vom 25.11.2017, Seite 10 / Feuilleton
Ausnahmekunst

Rosa von Praunheim 75

Was haben wir gelacht über die Liebesschwüre in Rosa von Praunheims erstem großen Spielfilm »Die Bettwurst« (1971), zunächst mal voller Häme für das Paar von der Kieler Uferpromenade, das mit atemberaubender Unglaubwürdigkeit – und im Falle des Helden noch mit Mannheimer Dialekt beteuert: »Ich liebe dich, ich liebe dich unwahrscheinlich …« Spätestens als wir die drei Worte das nächste Mal selbst bemühten, erkannten wir uns – bei allem Schreck und aller Ironie – auch wieder in diesen beiden kleingeistigen Verlierern, die der Film am Ende eben doch liebevoll inszeniert.

Rosa von Praunheim bringt nach wie vor sogenannte Verlierer zum Leuchten. Seinen 75. Geburtstag feiert er am heutigen Samstag im Berliner Wolf-Kino, das seinen Namen von einem sowjetischen Trickfilm hat (»Skazka skazok«, 1979) und sich in Neukölln befindet. Um diesen Stadtteil geht es auch in Praunheims neuem Dokumentarfilm »Überleben in Neukölln« (seit Donnerstag in den Kinos), vor allem um die queere Juwelia, die dort seit vielen Jahren eine Galerie betreibt, in der sie Gästen schamlos aus ihrem Leben erzählt und poetische Lieder singt, ihr Leben lang arm und sexy und immer noch Geheimtip. Neben Juwelia wird bei der Geburtstagsfeier der androgyne kubanische Sänger und Tänzer Joaquin la Habana erwartet, der in dem Film ebenfalls porträtiert wird. Lange werden sich solche interessanteren Neuköllner die Mieten in ihrem Quartier nicht mehr leisten können, auch darum geht es in dem Film.

Praunheim wurde 1942 während der deutschen Besatzung im Zentralgefängnis in Riga geboren. Seine leibliche Mutter verhungerte 1946 in der Psychiatrie (Wittenauer Heilstätten Berlin). Erfahren hat er das erst im Jahr 2000 von seiner Adoptivmutter, mit der er 1953 aus Brandenburg in den Westen gezogen war. Seit Mitte der 1960er nennt er sich nach dem Rosa Winkel aus den Konzentrationslagern und dem Frankfurter Stadtteil Praunheim, in dem er seine Jugend verbracht hat. Berühmt wurde er mit dem Dokumentarfilm »Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt« (1971). Sein Werk wächst und gedeiht. Im Oktober ist sein jüngstes Buch erschienen, am Samstag wird in der Galerie Raab in Berlin eine Ausstellung mit aktuellen Bildern eröffnet, im Januar am Deutschen Theater ein Theaterstück von ihm uraufgeführt und im Frühling soll eine Ausstellung in der Akademie der Künste folgen. Dem »Ausnahmekünstler« Rosa von Praunheim sei es gelungen, »in die gesellschaftliche Wirklichkeit einzugreifen und sie zu verändern«, gratulierte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. (jW)

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