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Aus: Ausgabe vom 05.07.2016, Seite 10 / Feuilleton

Trinken gegen Alpträume

Der neue Drecksack, die einzige bundesdeutsche »lesbare Zeitschrift für Literatur« (Untertitel), widmet sich einmal mehr den historischen Helden diverser Verrücktheiten. Eddie Woods, ein Fahrensmann der US-amerikanischen Beatniks (2. Generation) erinnert sich an einen Auftritt von William S. Burroughs in Amsterdam 1978: »Ha, ha Bill Burroughs hielt mich für einen Junkiekollegen«, weil Woods ihm als Gastgeschenk eine Kugel Opium überreichte, deren eine Hälfte gleich in Burroughs Mund verschwand. Der aus den USA eingeflogene Dark Star des Cut-up und psychedelische Kritiker künftiger Alptraumwelten las in Amsterdam mit diversen niederländischen Subkulturdichtern, darunter auch der zugeknallte Rocksänger Herman Brood und ein Hells Angel mit einem »unglaublich süßen Liebesgedicht«. Burroughs ist natürlich der notorisch Coolste, was auf Opium aber auch keine so große Kunst ist.

In seinem Aufsatz »Trinker als letzte konservative Elite des Abendlandes« untersucht der Berliner Musikverleger Matthias Hering eine wesentlich folgenreichere Zusammenkunft, das Treffen der Staatschefs Michail Gorbatschow und Ronald Reagan 1986 in Reykjavík. In deren Folge kollabierte nicht nur die Sowjetunion, nein, »seitdem wird weltweit eine neue Rasse gezüchtet, die sich alk- und rauchfrei als vernetzte Arbeitsameise zu verstehen hat«. Demgegenüber sei der »freie Trinker« der »letzte Mensch mit freiem Lachen in freier Nacht, nur er weiß, was Liebe ist.«

Der Undergroundsoziologe Marvin Chlada gibt die »nepalesischen Reispapierabenteuer von Ira Cohen« zum besten. Der New Yorker Dichter und Filmemacher Cohen betrieb in der zweiten Hälfte der 70er Jahre in Kathmandu einen Kunstbuchverlag für bibliophile Erstausgaben, gedruckt auf Reispapier. Cohen wollte dort ursprünglich nur ein paar Tage bleiben, glaubte dann aber, »dass wir, solange wir dort lebten, für immer jung bleiben und Gedichte schreiben würden«.

Jürgen Ploog, den manche für den deutschen Burroughs halten, nicht nur, weil er den echten als Lufthansa-Pilot immer mal wieder nach Europa geflogen hat, schreibt über den »Control«-Begriff bei ebendiesem. Bert Papenfuß dichtet über den »Nixenfick«, eine freie Interpretation des »Song to the Siren« von Tim Buckley. Dirk Bierbaß berichtet von Tagträumen im Callcenter mit negativer Tendenz: »Ich hatte das Headset auf, das mir so auf den Schädel drückte wie das Teil, das man aufgesetzt bekam, wollten sie einen auf dem elektrischen Stuhl rösten«. (jW)

Drecksack 3/16, 3 Euro, www.edition-luekk-noesens.de; Heftvorstellung am Donnerstag um 19.30 Uhr im Watt, Metzer Straße 9, Berlin. Mit Eric Ahrens, Florian Günther, Franziska Hauser, Matthias Hering, Dago Langhans, William Cody Maher.

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