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Aus: Ausgabe vom 11.03.2016, Seite 3 / Schwerpunkt

Hintergrund: Der Held von Den Haag

Am 13. März 2006 veröffentlichte jW einen Nachruf auf Slobodan Milosevic von Werner Pirker (1947–2014). Ein Auszug:

Der Prozess gegen Slobodan Milosevic vor dem illegalen Kriegsverbrechertribunal in Den Haag ist zu Ende gegangen. Die Todesstrafe wurde ohne Gerichtsurteil vollzogen. Der ehemalige Präsident Serbiens und Jugoslawiens starb geistig und moralisch ungebrochen. Er zerbrach an der physischen Gewalt, der er von einer mörderischen Gerichtsmaschinerie ausgesetzt wurde.

In der Person des Verstorbenen verdichtete sich die Tragödie Jugoslawiens. Geboren am 20. August 1941 im serbischen Pozarevac, betrat Slobodan Milosevic, der als ausgebildeter Jurist zuvor in der Wirtschaft tätig gewesen war, die politische Bühne zu einem Zeitpunkt, als sich der jugoslawische Vielvölkerstaat bereits in einem Zustand der inneren Zersetzung befand. (...)

Milosevic selbst war ein Geschöpf der inneren Widersprüche des jugoslawischen Selbstverwaltungssozialismus. Auch er war von der Idee einer Transformation des Systems in Richtung Marktwirtschaft und Parteienpluralismus beherrscht. (…) Doch er hielt auch an den jugoslawischen Grundwerten – Unabhängigkeit, Blockfreiheit und soziale Gerechtigkeit – fest. Er bot dem internationalen Finanzkapital die Stirn, als er IWF-Kredite, die als Startkapital für die neoliberale Durchdringung gedacht waren, zur Bezahlung von ausstehenden Gehältern für Lehrer und Militärangehörige zweckentfremdete. (…) Als er erkannte, dass die jugoslawische Staatlichkeit nur mehr die Summe ihrer Republiken darstellte, warf er die serbische Frage auf. Serbien war die einzige jugoslawische Teilrepublik, die nicht die Souveränität über ihr ganzes Territorium ausübte. Diesen verfassungsrechtlich absurden Zustand – die Vojvodina und das Kosovo waren als autonome Gebiete nicht Subjekte Serbiens, sondern der Föderation –, galt es aufzuheben. (…) Die Ursache für den Bürgerkrieg lag in der völkerrechtswidrigen, vom Westen, allen voran Deutschland, beförderten Sezession. (...)

Den letzten Akt der antijugoslawischen Aggression schrieben die Bombenkrieger der NATO. Serbiens tragisches Schicksal vollzog sich ein weiteres Mal auf dem Amselfeld. Jugoslawien verlor den Krieg – und Milosevic verlor die Wahlen. Seine Auslieferung nach Den Haag erfolgte unter Bruch der jugoslawischen Verfassung. Vor einem Gericht, das er nie anerkannt hatte, wuchs Milosevic vom Angeklagten zum Ankläger. Er hat den serbischen Mythos vom Sieg in der tiefsten Niederlage fortgeschrieben. So wie Georgi Dimitroff vor den Nazirichtern zum »Helden von Leipzig« wurde, wird Slobodan Milosevic früher oder später als der »Held von Den Haag« in die Geschichtsbücher Eingang finden.

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