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Aus: Ausgabe vom 06.12.2014, Seite 16 / Aktion

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Wie das Ende von Opel in Bochum und der Start von Bodo Ramelow als Ministerpräsident in Thüringen zusammenhängen
Von Dietmar Koschmieder
Bodo Ramelow (r.) am 12. Januar 2013 in Berlin auf der XVIII. In
Bodo Ramelow (r.) am 12. Januar 2013 in Berlin auf der XVIII. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz beim Singen der »Internationale«

Am Freitag wurde in Erfurt mit Bodo Ramelow erstmals ein Mitglied der Partei Die Linke als Ministerpräsident gewählt - danach entschuldigte er sich für das DDR-Unrecht. In Bochum lief am selben Tag letztmals ein Opel vom Band - danach wurde das Werk stillgelegt. Beides hätte so nicht stattfinden können, wenn vor 25 Jahren mit dem Fall der Mauer nicht das Ende der DDR herbeigeführt worden wäre.

Im Medienjubel über den Untergang des angeblichen Unrechtsregimes, im Dunst der Entschuldigungsarien der Linksparteiführung für 40 Jahre Unterdrückung in der DDR wird sehr oft übersehen, daß es damals tatsächlich viele Opfer gab: Millionen haben im Zuge der rasch herbeigeführten Vereinigung ihre Arbeit verloren, ihr bisheriges Leben wurde diskreditiert. Und ihnen wurde das geraubt, was sie in 40 Jahren harter Arbeit an Volkseigentum aufgebaut hatten. Die Wirtschaft auf dem Gebiet der DDR, bis 1989 eine der führenden Industrienationen weltweit, hat man mit Hilfe der Treuhand und der DM-Einführung gezielt in wenigen Monaten unter das industrielle Niveau Siziliens gedrückt. Es waren dabei vor allem die konkurrenzfähigen Betriebe, auf die es die Anstalt (unter Anleitung von Westindustriellen) bei der Zerschlagung abgesehen hatte. Darüber wird kaum gesprochen. Und wenn der ehemalige Gewerkschaftsfunktionär Bodo Ramelow gestern nach seiner Wahl zum thüringischen Ministerpräsidenten die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit und des DDR-Unrechts verlangte, da meinte er nicht dieses Unrecht, das den Bürgern der DDR im Rahmen des Anschlusses an die BRD angetan wurde.

Noch weniger wird beachtet, daß nicht nur die DDR aufgehört hat zu existieren - auch die BRD gab es nach 1989 nicht mehr so wie zuvor.  Zwar hat sich schnell herumgesprochen, daß sich mit der Auflösung der DDR die Kräfteverhältnisse deutlich zu Ungunsten der Arbeiterbewegung und des sozialen Fortschritts verschoben haben. Bis 1989, heißt es zum Beispiel, saß bei jeder Tarifverhandlung die DDR mit am Tisch. Der Imperialismus war bis dahin durch die real existierenden sozialistischen Länder in seiner Entwicklungsfreiheit eingeschränkt - das hat sich nach 1989 dramatisch geändert. Und das, was dann in Ostdeutschland wie in einem großen Labor ausprobiert wurde - nämlich, wie man auch große Betriebe mit starken Belegschaften rasch abwickeln kann, trotz aller Folgen für die arbeitenden Menschen, ihre Familien und die Region -, diese Erfahrungen und Erkenntnisse wurden dann auch bald im Westen der neuen Republik angewandt.

So war schon vor 1989 längst klar, daß der Kohlebergbau in der BRD nicht profitabel funktionieren kann: Das Abbaggern der Steinkohle in Australien im Tagebau ist inklusive Transportkosten nach Europa eben deutlich billiger. Vor 1989 war es aber in Westdeutschland undenkbar, einfach aus solchen Profitgründen einen ganzen Industriezweig mal eben so zu zerstören. Da mischte der Staat planwirtschaftlich mit: Mit Milliardenunterstützung suchte man nach Lösungen für die betroffene Region, schulte etwa Bergarbeiter um und schickte sie nach Süddeutschland in die chemische Industrie. Bochum war eine der ersten Regionen, die von massiven Zechenstillegungen betroffen waren. Zehntausende gingen damals dagegen auf die Straße.  Aus »politischen Gründen« und um eine »Radikalisierung« zu verhindern (FAZ vom 4.12.14), flossen deshalb Fördermittel für Industrieansiedlungen: In nur zwei Jahren Bauzeit entstand bis 1962 in Bochum auf dem ehemaligen Zechengelände das modernste Automobilwerk Europas.

Solche Mühe machen sich die Herrschenden und ihr politisches Personal heute nicht mehr. Es gilt reine Profitlogik, Gewerkschaften sind erpressbar. Aber soviel auch verzichtet wird, auf die Löhne in Polen kommt man nicht herunter. Und ein Betrieb, der nicht mehr profitabel genug arbeitet, wird nun auch im Westen knallhart geschlossen - und zwar keineswegs, weil er marode ist. Das funktioniert prima nach dem Modell, das die Treuhand in der Ex-DDR ausprobiert hat: Die Belegschaft wird von ehemals 20.000 Beschäftigten auf 3.300 reduziert. Dann macht man kurzerhand den Laden dicht. 2.700 Betroffene verschiebt man in eine Transfergesellschaft - im Osten kennt man das gut: Nach zwei Jahren sind auch da die Tore dicht, nicht einmal die Medien interessiert das dann noch.

Mitglieder der Linkspartei und viele ehemalige Gewerkschaftsfunktionäre, die in ihr organisiert sind, kennen diese Zusammenhänge. Das ist einer der Gründe, warum sie gewählt werden. Ob sie diesem Wissen und ihren Wählern auch danach verpflichtet sind, ist eine andere Frage.

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