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Aus: Ausgabe vom 08.05.2014, Seite 3 / Schwerpunkt

»Deeskalation ist das Gebot der Stunde«

Der Bundestag befaßte sich am Mittwoch in einer aktuellen Stunde mit dem Konflikt in der Ukraine. Der Vorsitzende der Linksfraktion, Gregor Gysi, äußerte sich im Vorfeld in Pressestatements:



Es muß jetzt alles dafür getan werden, daß die Waffen in der Ukraine endlich schweigen. Die Bürgerkriegsgefahr ist äußerst akut. Es ist ein Fiasko der europäi­schen Politik und der internationalen Diplomatie – und zwar von allen Seiten –, daß der Ausstieg aus der Gewaltspirale bisher nicht gefunden wurde. Die schrecklichen Bilder aus Odessa, aber auch die andauernden Gefechte im Osten der Ukraine mit immer mehr Toten und Verletzten machen deutlich, daß das Land am Abgrund eines Bürgerkrieges steht.

Deeskalation ist das Gebot der Stunde. Aber neue Sanktionen gegen Rußland sind das Gegenteil von Deeskala­tion. Und eine neue Sicherheitsordnung in Europa kann nicht ohne, geschweige denn gegen, sondern nur mit Rußland gefunden werden. Das muß endlich auch die NATO begreifen. Und wenn der NATO-Generalsekretär jetzt nach Aufrüstung ruft und Rußland zum Gegner erklärt, also auf seine Art auf das alte Kalte-Krieg-Denken zurückfällt, dann zeigt das eben überhaupt ein neues Kriegsdenken des Generalsekretärs der NATO. Das ist das Letzte, was wir in Europa gebrauchen können.

Die Bundesregierung hat mit dem Einsatz militärischer Beobachter in der Ostukraine unter Führung der Bundeswehr einen weiteren schweren Fehler begangen. Das ist keine OSZE-Mission. Auch die OSZE selbst distanziert sich davon. Sondern die Militärbeobachter aus OSZE-Mitgliedstaaten, die nicht ganz zufällig alle auch NATO-Staaten sind, hatten als Verifikateure der Bundeswehr – also auch als Aufklärer – und anderer Armeen auf der Grundlage des Wiener Dokuments und somit bilateral nach einer Verständigung zwischen Kiew und Berlin inspizieren sollen. Es wurde gesagt, sie sollten überhaupt nicht die russische Seite oder russisch sprechende Kräfte diesbezüglich verifizieren, sondern ausschließlich die ukrainische Armee.

Das klingt rechtlich sauber, ist aber politisch höchst fraglich. Und zwar schon deshalb höchst fraglich, weil dort gar keine ukrainischen Streitkräfte waren in der Stadt, in die sie eingezogen sind. Es ist weiterhin fraglich, weil das das eigene Personal gefährdet hat. Es ist auch deshalb fraglich, weil es die echte OSZE-Mission gefährdet. Denn jetzt tritt doch bei der ukrainischen Bevölkerung ein ganz anderer Eindruck ein: Wenn das eine sich fälschlich OSZE nennt, und das andere wirklich eine OSZE-Mission ist, dann denkt man, es geht um eine Art militärische Aufklärung, die man natürlich auch als Spionage bezeichnen kann. Es ist interessant, daß Herr Steinmeier im Fernsehen erklärt hat, daß man zu Beginn Hinweise erhalten hätte, daß schon russische Streitkräfte in der Ostukraine seien, und gerade durch diese Beobachter habe man nun festgestellt, daß keine russischen Streitkräfte in der Ostukraine sind. Dann haben sie Aufklärung betrieben. So etwas nennt man auch Spionage. Und damit haben sie natürlich auch ihre eigenen Leute gefährdet. Nun kommt noch hinzu, daß wir heute lesen, daß der BND daran beteiligt war. Was denn nun? Soll das ein Beitrag zur Deeskalation sein? Ganz im Gegenteil!

Wir benötigen jetzt eine andere Herangehensweise. Das Land ist tief gespalten. Daher benötigt man äußere und auch innere Diplomatie. Ich finde gut, daß der Generalsekretär der UNO sich als Vermittler angeboten hat. Mal sehen, ob alle Seiten darauf eingehen. Und ich finde auch die fünf Forderungen gut, die Außenminister Steinmeier heute formuliert hat. Er schwenkt langsam auf die Sicht ein, die wir schon lange hatten. Allerdings gefällt mir eine Sache am Schluß nicht ganz. Er sagt, um das alles zu schaffen, müssen sowohl Moskau als auch Kiew den Weg mitgehen. Nein, sowohl Moskau als auch Kiew als auch Washington als auch Brüssel müssen den Weg mitgehen, sonst funktioniert das nicht. Man darf die Rolle der USA, der EU und letztlich auch der NATO dabei nicht unterschätzen.



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Die Überlegungen in der NATO, sich dauerhaft in Osteuropa zu stationieren, sind ein Beitrag zur Eskalation statt zur notwendigen Deeskalation. Wer ernsthaft will, daß Putin seine Truppen von der russisch-ukrainischen Grenze zurückzieht, wird dies niemals erreichen, wenn er seine eigenen Truppen an die russischen Grenzen heranführt. (…)

Frau Merkel empfängt einen Präsidentschaftskandidaten der Ukraine. Warum diesen und keinen anderen? Soll das eine indirekte Wahlkampfhilfe sein? Nun ist dieser Mann ein Oligarch, fordert schärfere Sanktionen gegen Rußland, leistet also auch einen Beitrag zur Eskalation, anstatt zunächst mal sein Vermögen, das der ukrainischen Gesellschaft zusteht, dieser wieder zurückzugeben. Dieser Empfang durch Frau Merkel geht politisch und diplomatisch also völlig daneben.

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