Leserbrief zum Artikel Sammlungsbewegung: Sozialdemokratisches Terrain
vom 10.09.2018:
Bleierne Zeit
Ulla Jelpke hat ihre Zweifel an »Aufstehen«, weil »die Bewegung von oben herab gegründet« wurde. Heiner Flassbeck bemängelt, dass das »Basisprogramm von unten nach oben« entsteht. Kurz: Die linken Bedenkenträger trauen der Sache nicht(s zu). Die Kommentare von der Rechten sind wie immer, wenn sich links was regt, vernichtend, hämisch oder herablassend. Natürlich bedarf ein Aufruf – Jelpkes »soziale Bewegungen der letzten fünfzig Jahre« waren Ein-Punkt-Bewegungen –, der viele der dringendsten Probleme unserer Zeit anspricht, einer »Initialzündung«, eines »Kristallisationskerns«, braucht eben Persönlichkeiten von hohem Bekanntheitsgrad, hohem Ansehen und ebensolcher Beliebtheit, wie sie Sahra Wagenknecht und die anderen Mitgründer darstellen. Der Zuspruch und das Interesse der Mitbürger an »Aufstehen« lassen jetzt schon vermuten, dass die Initiatoren das richtige Gespür dafür haben, den weitverbreiteten Frust über die Politik der dafür im Lande Verantwortlichen zu »kanalisieren« und in geeigneter Form fruchtbar zu machen. Alles, was »Aufstehen« nach bisheriger Kenntnis angehen will, ist nach Meinungsumfragen in der Bevölkerung mehrheitsfähig, die Verfasstheit der BRD aber sorgt dafür, dass keine mediale oder gar parlamentarische Mehrheit zustande kommt. Und wenn Jelpke Kapitalismuskritik vermisst (tu ich auch), dann sollte sie bedenken, dass man Menschen dort abholen sollte, wo sie sind, nicht wo sie sein sollten. Beiden Kritikern lege ich nahe, ihre Ideen, ihre Kraft und ihr (zu Recht) hohes Ansehen dort einzubringen, wo in unserer bleiernen Zeit vielleicht Hoffnung auf Änderung zum Guten besteht, bei »Aufstehen« eben.
Veröffentlicht in der jungen Welt am 11.09.2018.