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Leserbrief zum Artikel Linkspartei: »Der Rechtsentwicklung nicht tatenlos zuschauen« vom 08.06.2018:

Nicht auf Kommando

Der Ansicht von Sahra Wagenknecht, dass sie im Rahmen einer Regierungsbeteiligung der Partei Die Linke die grundsätzlichen Rahmenbedingungen der Arbeit und des Lebens der Mehrheit der Menschen in Deutschland unter Absage an den Neoliberalismus grundsätzlich würde verändern und verbessern können, ist eine Illusion. Dies ist praktisch die Illusion von Kautsky und Bernstein.
Sowie das Kapital seine uneingeschränkte Macht und Machtentfaltung eingeschränkt oder gefährdet sieht, reagiert es mit maßloser Gewalt. Dies sehen wir sowohl an der Weimarer Republik und dem deutschen Faschimus, aber auch in Italien nach dem Ende der Mussolini-Diktatur, in Indonesien und derzeit z. B. auch in Brasilien. Es gibt noch viele weitere Beispiele. Das System, welches derzeit besteht, ist nur zu ändern durch einen grundsätzlichen Bruch mit den derzeitigen Verhältnissen. Eine Regierung, die von diesen Kapitalisten bezahlt wird, wird nie einen grundsätzlichen Bruch herbeiführen. Sie wird die Aufträge ihrer Geldgeber ausführen, und wenn sie dies nicht macht, findet das Kapital geeignete Wege, um sie zur Geschichte werden zu lassen.
Daraus hat die Arbeiterbewegung gelernt, dass das System nur zu verändern ist, wenn die Massen, Millionen, auf der Straße sind, wenn die Arbeiter massenhaft streiken im ganzen Land und sich dazu auch mit vielen anderen Bevölkerungsschichten verbünden, wenn die Behörden und die Gerichte gestürmt werden, die Akten und die PCs aus den Fenstern fliegen. Dies wird aber nicht zur Verbesserung des bestehenden Systems führen, sondern zur Kontrolle der großen Betriebe und Banken und der Behörden durch die Arbeiter. Eine sogenannte linke Sammlungsbewegung kann man nicht auf Kommando gründen. Diese Vorstellung ist undialektisch. Eine solche Bewegung wird auch nicht von oben gegründet. Sie bildet sich, wenn die Zeit dafür reif ist, nicht von allein und auch nicht gesetzmäßig. Aber derzeit haben wir keine Massen auf der Straße, keine massive Streikfront in ganz Europa ... Wenn sich andeutet, dass so eine Situation sich herausbildet, dann müssen die bewusstesten Aktivistinnen und Aktivisten die Anregung zu einer solchen Sammlungsbewegung geben. Dazu wird die Kommunistische Partei zur Stelle sein, um den aufständischen Arbeitern den Weg zu weisen, wie sie ihre Ketten ablegen. Derzeit ist nicht die geeignete Situation zur Bildung einer solchen Sammlungsbewegung. Das Bewusstsein in der Arbeiterschaft, aber auch ganz allgemein in der Bevölkerung ist dafür einfach nicht vorhanden. Selbst zwischen Vereinen, die vergleichbare oder ähnliche Ziele haben, besteht gegenseitige Ignoranz. Erst wenn der Blick über den Tellerrand hinausreicht, danach, wie es dem Nebenmann geht, wenn es allgemein Usus ist, dass man sich gegenseitig akzeptiert und gemeinsam kämpft, nicht isoliert jeder für sich allein, dann sind Voraussetzungen für eine Sammlungsbewegung gegeben.
Derzeit besteht nur die Möglichkeit, auf der Basis von oft nur Minimalkonsens einzelne Aktionen organisationsübergreifend zu machen. Im Antifabereich läuft dies hier und da ganz gut, auch professionell, und ab und zu strahlt dies auch in andere Politikbereiche aus, und das ist schon ganz gut so. Nach meiner Meinung ist es besser, jetzt keine große Sache schaffen zu wollen, sondern die politische Kleinarbeit fortzusetzen, zu versuchen, kleine Gruppen aufzubauen, die Aktionen machen und mit vielen anderen kooperieren. Wenn dies sehr stark forciert würde – wäre die Sammlungsbewegung schon da.
Steffen Weise
Veröffentlicht in der jungen Welt am 13.06.2018.
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