No future? Nur für das Kapital!
Von Sebastian Carlens
Gelegentlich muss man sich einfach mal wieder treffen. Videocalls, E-Mails und Sprachnachrichten ersetzen eben nicht die persönliche Zusammenkunft. Im Oktober beispielsweise hat sich eine Fraktion des deutschen Kapitals im luxuriösen Wintersportort Seefeld (Tirol) zum »Moving Mountains«-Gipfel zusammengefunden. Eingeladen hatten die beiden verglühten Politsternchen Sebastian Kurz (früherer österreichischer Kanzler) und Karl-Theodor zu Guttenberg (ehemaliger CSU-Verteidigungsminister). Ihre Kapitalfraktion war einmal das, was boshaft als »Transatlantifa« bezeichnet wurde. Von Springers Medien hochgeschrieben, über die üblichen Skandale gestürzt und nun auch noch mit Liebesentzug vom US-amerikanischen »großen Bruder« gestraft. Aktueller Beziehungsstatus: Es ist kompliziert. Guttenberg und Kurz hatten vorab angekündigt, worum es gehen sollte: In »sechs intensiven intellektuellen Sitzungen« sollten Themen, »die unsere Zeit prägen«, behandelt werden, »vom Potential künstlicher Intelligenz bis hin zum Wandel der geopolitischen Ordnung«. Außerdem werde es um »aktuelle Herausforderungen im Bereich der Sicherheit« sowie um »die Entwicklung von Innovationen und künstlicher Intelligenz bei Dual-Use-Produkten« gehen.
Man kann sich das vorstellen: Charaktermasken und Geldsäcke dealen bei Lachsschaumschnittchen und Schampus mit der Zukunft von Millionen Menschen – im geheimen. Aufgedeckt wurde das Elitentreffen erst vom österreichischen Magazin Profil. Die aktuelle Wirtschaftsministerin Katherina Reiche, zufällig auch Lebensgefährtin Guttenbergs, will als »Privatperson« daran teilgenommen haben, außerdem »waren neben Ministern auch arabische Royals und milliardenschwere Investoren unter den rund 80 geladenen Gästen«, berichtet Spiegel online. Vermutlich waren die verschwiegenen Kamingespräche wichtiger als die aktuelle Legislatur des Bundestages. Näheres entnehmen Sie dann bitte Bild.
Linker Jahresauftakt
Auch die radikale Linke in der BRD hat ihren Jahreshöhepunkt, und zwar das Luxemburg-Liebknecht-Gedenken am zweiten Januarwochenende mit der Rosa-Luxemburg-Konferenz (10. Januar 2026) in Berlin. Dies ist alles andere als geheim, die komplette Konferenz wird sogar kostenlos im Netz gestreamt werden – auf deutsch, spanisch und englisch. Zu besprechen gibt es genug. Das nun bald vergangene Jahr musste schwere Einschläge in so gut wie allen Bereichen der Wirtschaft und der Politik erfahren. Selbst diejenigen, die – dank ihrer Ausstattung mit marxistischem Handwerkszeug – stets davon ausgegangen sind, dass der Kapitalismus mit dem Kriege schwangergeht, waren über das Tempo und die Unverfrorenheit, mit der die neue »Kriegstüchtigkeit« propagiert wird, überrascht. Es hat keine paar Monate des Trommelfeuers gebraucht, bis selbst die evangelische Kirche ihre Liebe zu deutschen Atombomben entdeckt hat. Im neuen Jahr wird ein Jahrgang junger Menschen gemustert und für den Heldentod als tauglich befunden werden. Dieses Thema wird zwangsläufig – unter anderem bei der Podiumsdiskussion – auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz im Mittelpunkt stehen.
Krise des Kapitals
Doch die Ursachen reichen tiefer. Es ist das westlich-kapitalistische Akkumulationsmodell selbst, das an Grenzen stößt – an geographische zum Beispiel. So rennt die Wirtschaft der Volksrepublik China den Ländern der G7 in immer mehr Bereichen davon. Das US-Kapital hat seine Lehren aus Jahrzehnten vergeblicher Eindämmung des ostasiatischen »Systemrivalen« gezogen – und greift zu den althergebrachten Methoden einer eigennützigen und brutalen Großmachtpolitik. Dazu gehören die Unterwerfung Lateinamerikas und die Vernichtung des sozialistischen Kuba, denn wer damit nicht fertig wird, muss an China nicht einmal denken. Es ist nicht ausgeschlossen, dass bis zur Konferenz ein heißer Krieg gegen Venezuela angezettelt werden wird – wir müssen daher einige Flexibilität im Konferenzprogramm wahren, um auch auf aktuelle Geschehnisse reagieren zu können.
Für die BRD hat all dies tiefgreifende Auswirkungen, nicht nur für die Schnösel und Yuppies, die sich mit Guttenberg und Kurz auf dem verschneiten Gipfel getroffen haben. Der alte Dreisatz – billige Energie aus Russland, unerschöpfliche Absatzmärkte in China und wohlfeile Rückendeckung durch die US-Militärmaschinerie – funktioniert nicht mehr. Gelingt es dem deutschen Kapital nicht, wenigstens die EU an die Kandare zu nehmen, bleibt nur, womit man sich historisch noch am besten auskennt: der aggressive Alleingang. Die Verfasstheit des deutschen Imperialismus, unseres Hauptfeindes, wird Gegenstand der Analyse und Diskussion auf der Konferenz sein.
Unsere Antworten
Die Herrschenden haben keine Antwort mehr auf irgendeine Frage der Zukunft – außer Aufrüstung, Krieg und Tod. Dafür, dass sich die Kasernen füllen werden, sorgt schon der Niedergang der Wirtschaft selbst, denn mittlerweile sind »systemrelevante« Industrien in nennenswerter Zahl betroffen; Millionen Arbeitsplätze, beispielsweise in der Automobilproduktion, stehen zur Disposition. In den bürgerlichen Blättern wird krampfhaft versucht, der Jugend dieses Landes das Mordhandwerk schmackhaft zu machen, um über die völlige Perspektiv- und Ideenlosigkeit hinwegzutäuschen. Dazu werden die Jugendlichen beim Jugendpodium der Rosa-Luxemburg-Konferenz selbst diskutieren und Möglichkeiten der Bundeswehrkraftzersetzung erörtern.
Bei alldem werden natürlich Kunst und Kultur nicht zu kurz kommen, für das leibliche Wohl ist ebenfalls gesorgt. Feiern können wir übrigens auch viel besser als die Herrenreiter und Milliardäre. Das Beste an der Sache ist aber: Unsere Debatten zu Strategie und Taktik sind allesamt öffentlich, denn wir verschmähen es, unsere Absichten zu verheimlichen.
Wir laden diejenigen, die weder der Vergangenheit nachtrauern noch über künftige Raubzüge phantasieren, sondern über die Zukunft – eine lebenswerte Zukunft in Frieden für Milliarden Erdenbewohner – nachdenken möchten, herzlich zum Jahresauftakt der Linken im deutschsprachigen Raum ein. Auch denjenigen, die – quasi investigativ – den Plänen von Internationalisten, Friedensfreunden und Kommunisten auf die Schliche kommen wollen, stehen die Türen offen.
Ein Wort zum Schluss, denn noch leben wir im Kapitalismus: Das Ausrichten der Rosa-Luxemburg-Konferenz kostet viel Geld, verdammt viel Geld. Wir bewegen uns auf einen mittleren sechsstelligen Betrag pro Jahr (!) zu. Das ist nur mit Spenden zu finanzieren, wenn wir die Ticketpreise nicht zum sozialen Ausschlusskriterium machen wollen, denn aus irgendwelchen Gründen sehen Großkonzerne davon ab, uns zu unterstützen. Aber das kriegen wir schon selber hin – mit Ihrer und eurer Hilfe!
Mehr Informationen zum Programm, zu den Tickets und Spendenmöglichkeiten: jungewelt.de/rlk
Friedenspropaganda statt Kriegsspielzeug
Mit dem Winteraktionsabo bieten wir denen ein Einstiegsangebot, die genug haben von der Kriegspropaganda der Mainstreammedien und auf der Suche nach anderen Analysen und Hintergründen sind. Es eignet sich, um sich mit unserer marxistisch-orientierten Blattlinie vertraut zu machen und sich von der Qualität unserer journalistischen Arbeit zu überzeugen. Und mit einem Preis von 25 Euro ist es das ideale Präsent, um liebe Menschen im Umfeld mit 30 Tagen Friedenspropaganda zu beschenken.
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