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SPD-Manifest

Gegen Kasernenhofruhe

Sozialdemokraten verfassen ein »Manifest« – Waffennarren drehen durch, Linke haben Bedenken. Nehmen wir sie doch lieber beim Wort und in die Pflicht!
Von Verlag, Redaktion und Genossenschaft
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Den Weg in den Krieg verbauen – dafür braucht es viele (Ostermarsch am 19.4.2025 in Berlin)

Noch niemals seit dem Zweiten Weltkrieg war die Gefahr einer weltweiten kriegerischen Eskalation, eines erneuten Weltkrieges, so groß wie heute. Die Ostexpansion der NATO hat die Sicherheitsgarantien, die sich im und seit dem Kalten Krieg entwickelt haben, hinweggefegt. Bislang 18 EU-Sanktionsrunden konnten zwar Russland nicht empfindlich treffen, dafür aber die eigene Wirtschaft. Regionalkonflikte flammen allerorten auf. Ein Eintritt der USA an der Seite Israels im völkerrechtswidrigen Krieg gegen den Iran hat das Potential, auch diese Weltregion in Chaos und Vernichtung zu stürzen. Bis 2029, so das neue Man­tra der Herrschenden in Deutschland, müssen »wir« zum Krieg gegen Russland bereit sein. Und gleichzeitig wird der entscheidende Schlag gegen die Volksrepublik China vorbereitet. Die Bevölkerung Deutschlands, die Grund genug hat, um ihre Zukunft besorgt zu sein, wird mit wahnwitziger militaristischer Propaganda eingedeckt. Dieses System hat keine andere Antwort mehr auf irgendeine Frage der Zukunft. Die politische Debatte ist auf Kalibergrößen und militärische Kennzahlen verzwergt. Diese Entwicklung entspricht dem offensichtlichen Verfall des westlich geprägten imperialistischen Systems, das nnur durch militärische Aggression seine Existenz sichern kann.

Kurzum, die Zeit ist überreif für eine starke Friedensbewegung. Ihre Schwäche ist politisch gewollt, die Verunmöglichung jeder Diskussion über angeblich alternativlose Hochrüstung und Kriegsvorbereitung entspricht den Interessen der Herrschenden. Wenn sich dann – spät, sehr spät – führende Sozialdemokraten aus der Deckung wagen und ihre Stimme für Diplomatie, für Verhandlungen und gegen stumpfen Rüstungswahn erheben, folgen die üblichen bedingten Reflexe. »Als hätte es Putin mitgeschrieben«, donnert Bild den Mitgliedern dieser (Mit-)Regierungspartei entgegen, die das SPD-»Manifest« unterzeichnet haben. Bei dem Papier handele »es sich in Wahrheit um ein zynisches Putin-Versteher-Manifest«, sekundiert die Taz. Der Botschafter der Ukraine, dem Deutungshoheit über die deutsche Innenpolitik zugestanden wird, nennt das »Kapitulationsmanifest« einen »moralpolitischen Tiefpunkt«.

Was fordern die Unterzeichner, darunter linke Sozialdemokraten aus der Bundes- und Landespolitik? Auch sie sprechen von »notwendiger Verteidigungsfähigkeit«, sind also nicht gegen Aufrüstung. Doch sie fordern, dies »mit einer Rüstungskontroll- und Abrüstungspolitik« zu verknüpfen, um »gemeinsame Sicherheit und gegenseitige Friedensfähigkeit zu erreichen«. Die Verfasser erwähnen die KSZE-Schlussakte von Helsinki 1975 als einen »Höhepunkt dieses Zusammendenkens von Verteidigungs- und Abrüstungspolitik, das in Europa jahrzehntelang Frieden gesichert hat«, und fordern die »Rückkehr zu einer kooperativen Sicherheitsordnung« nach diesen Prinzipien. Unter anderem sprechen sie sich gegen die »Stationierung neuer amerikanischer Mittelstreckenraketen in Deutschland« aus, die Deutschland »zum Angriffsziel der ersten Stunde« machen würde. Das ist weder revolutionär noch pazifistisch, sondern seit Jahrzehnten Stimmung in weiten Teilen der SPD-Basis wie auch der Gewerkschaften. Heutzutage grenzt es offenkundig bereits an Hoch- und Landesverrat.

Die Tageszeitung junge Welt versteht sich traditionell als Zeitung gegen Krieg, als Zeitung für den Frieden. Wir, Redaktion, Verlag und Genossenschaft der jW, begrüßen, dass mittels des SPD-»Manifests« eine gesellschaftliche Debatte über die reale Kriegsgefahr befördert werden konnte, auch wenn das Papier längst nicht ausreicht. Es ist aber ein wichtiges Signal, gerade auch in die Gewerkschaften hinein, in der so friedenspolitische Debatten befördert werden. Es spricht diejenigen Anhänger der Sozialdemokratie an, die ihre Vernunft in wirren und brandgefährlichen Zeiten nicht vollständig aufgegeben haben. Natürlich, die SPD-Funktionäre haben durchaus eigene Motive. Ralf Stegner, einer der bekannteren Unterzeichner, hat dies eingeräumt; die SPD drohe unter die Zehnprozentmarke zu fallen, wenn die Sorgen der Bevölkerung nicht ernstgenommen würden. Es geht also auch um die zukünftige Rolle der Partei, um ihre Daseinsberechtigung im Parlamentarismus.

Kritik an der SPD ist also keineswegs überflüssig, im Gegenteil. Die Partei bleibt Mehrheitsbeschafferin einer Kriegskoalition und stellt mit dem Waffennarren Boris Pistorius eine zentrale Figur der Rüstungshetze. Darüber in der gebotenen Schärfe zu berichten ist Aufgabe der jungen Welt. Doch ohne Sozialdemokraten, ohne die Mitglieder der sozialdemokratisch geprägten Gewerkschaften wird es nichts werden mit einer wirksamen Friedensbewegung. An der »Dritten Gewerkschaftskonferenz für den Frieden« am 11. Juli werden neben nicht parteilich organisierten Gewerkschaftern auch Kommunisten und Mitglieder und Anhänger der Linkspartei wie auch der SPD teilnehmen. In solchen Formaten können und müssen Gemeinsamkeiten an der Basis gefunden werden.

Die junge Welt wird diese Debatten als dem Frieden verpflichtetes Medium begleiten und – in der Zeitung, aber auch auf der nächsten Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz am 10. Januar 2026 – fortsetzen. Zu dieser notwendigen Diskussion laden wir auch und gerade linke Sozialdemokraten und Gewerkschafter ein.

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  • Leserbrief von Bernd Jacoby aus Wiesbaden (21. Juni 2025 um 10:41 Uhr)
    »Kritik an der SPD ist also keineswegs überflüssig, im Gegenteil. Die Partei bleibt Mehrheitsbeschafferin einer Kriegskoalition und stellt mit dem Waffennarren Boris Pistorius eine zentrale Figur der Rüstungshetze. Doch ohne Sozialdemokraten, ohne die Mitglieder der sozialdemokratisch geprägten Gewerkschaften wird es nichts werden mit einer wirksamen Friedensbewegung.« Sind diese Formulierungen nicht etwas leichtfertig schnell aus den Standardformulierungen der Friedensbewegung des vergangenen Jahrhunderts übernommen? Der hier so genannte »Waffennarr« Pistorius ist eine entscheidende politische Figur der Zeitenwende und nunmehr ihrer Fortsetzung. Sein Tun ist politisch verantwortliches Handeln und nicht einer Narretei geschuldet. Er steht für genau den Klingbeil-Flügel der Sozialdemokraten, der den aggressiv-militaristischen Kurs Deutschlands führend zu verantworten hat. Es geht auch längst nicht mehr um »Rüstungshetze«, die etwas erreichen möchte, sondern es geht um Taten, die Tag für Tag seit längst mehr als drei Jahren Planungen umsetzen, die diesen Kurs materialisieren, sei das die sogenannte Ostflanke, sei das der Operationsplan Deutschland oder das Grünbuch. Es geht also zunächst politisch gegen »die Sozialdemokraten« und diese in »ihren« Gewerkschaften, bevor es vielleicht wieder mit ihnen gehen könnte. Das bedeutet qualitativ mehr als reine »Kritik«. Ein ganz merkwürdiger Text der jW im Rahmen politischen Denkens und seiner Anwendung, wie man es hier erwarten könnte!
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (23. Juni 2025 um 14:42 Uhr)
      Man muss sich in Fragen der Friedenserhaltung um mögliche Bündnispartner bemühen. Schon deshalb, wenn man so schwach ist wie die Friedensbewegung hierzulande. Die Nase zu rümpfen und pfui zu rufen, wenn da jemand aus einer ungeahnten Ecke kommt, wird der Verantwortung nicht gerecht, die wir alle in dieser Frage zu tragen haben. Um den Frieden zu retten, sollten wir bereit sein, notfalls auch mit dem Teufel zu paktieren. Es ist aber überhaupt nicht teuflisch, was linke Sozialdemokraten da formuliert haben. Es ist einfach nur grundvernünftig. Die Hand auszuschlagen, die sie uns in dieser Hinsicht hinhalten, wäre einfach nur unverantwortlich.
  • Leserbrief von Heinrich Hopfmüller aus Hjörring (20. Juni 2025 um 21:36 Uhr)
    Guter Ansatz, linke Sozialdemokraten und Gewerkschafter zur Friedensdiskussion einzuladen!

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