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Aus: China, Beilage der jW vom 01.10.2025
Volksrepublik China

Plötzlich cool

Die Volksrepublik China gewinnt weltweit an Popularität und »Soft Power«
Von Marc Püschel
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(Chongqing, 7.2.2022)

Der weltweit erfolgreichste Film des Jahres? Kommt aus China. Das erfolgreichste Videospiel des Vorjahres? Kommt aus China. Der (irrsinnige) Konsumhype des Jahres? Kommt aus China. Die wichtigste Social-Media-Plattform der Welt? Kommt aus China.

Die Liste ließe sich fast noch beliebig weiterführen, doch schon diese Schlaglichter verweisen auf einen bemerkenswerten Trend. Überall auf der Welt, die in den vergangenen Jahrzehnten noch auf Hollywood und US-Kulturexporte geeicht war, werden chinesische Produkte beliebt – egal ob es sich um den diesjährigen Film »Ne Zha 2« handelt, der vom Einspielergebnis her bereits der erfolgreichste Animationsfilm aller Zeiten sowie der fünferfolgreichste Film überhaupt ist, um das Action-Rollenspiel »Black Myth: Wukong«, das meistgespielte Videospiel 2024, das zahlreiche Verkaufsrekorde brach und Preise einheimste, um chinesische Science-Fiction, die immer mehr Anklang findet (etwa die Bücher von Liu Cixin), oder um die »Labubus«, kleine Puppen, die als Sammlerobjekte im Sommer 2025 einen Hype auslösten.

Sanfte Macht

Das spricht einerseits zunächst einmal nur dafür, dass China endgültig in die globale, kapitalistisch organisierte Kultur- und Unterhaltungsbranche integriert ist. Andererseits steigert das selbstverständlich auch die Attraktivität der Volksrepublik und damit das, was der Politikwissenschaftler Joseph Nye (der am 6. Mai dieses Jahres verstarb) mit dem Begriff der »Soft Power« bezeichnete.

Der Ausdruck bezieht sich auf die allgemeine Anziehungskraft sowie die Strahlkraft politischer und kultureller Werte eines Landes, in Abgrenzung zu seiner »harten Macht« wie Militär und wirtschaftlicher Stärke. Nye entwickelte das Konzept Anfang der 1990er Jahre verständlicherweise mit Hinblick auf die USA. Deren »Soft Power« beruhte vor allem darauf, dass sie den modernen individualistischen Konsumstil hervorbrachten. Wer in den 70er und 80er Jahren seine erste Jeans kaufte, eine Coca-Cola trank oder zu McDonald’s ging und sich Hollywood-Filme ansah, bewunderte den »American Way of Life«.

Doch gerade weil sich dieser Lebensstil heute weltweit größtenteils durchgesetzt hat, verbindet man ihn kaum mehr mit einer bestimmten Nation. Als »cool« gelten vielmehr eher wieder lokale Produkte. Zudem nimmt der US-Einfluss besonders unter der gegenwärtigen Regierung ab, da Präsident Donald Trump alle möglichen Brücken abreisst – und damit wichtige Einflussfaktoren. Als Beispiele wären die Auflösung der Behörde USAID zu nennen oder der abschreckende Effekt, den die brutale Politik gegen Migranten auf Menschen aus dem Ausland hat, die in die USA gehen wollen.

Was die Vereinigten Staaten verlieren, scheint der große Rivale China zu gewinnen. Eben der erwähnte Nye konnte zwar noch 2012 in der New York Times das Fazit ziehen, China sei schwach im Bereich »Soft Power«. Doch binnen eines Jahrzehnts hat sich der Trend gedreht. So konstatiert etwa das Marktforschungs- und Beratungsunternehmen Brand Finance in seinem neuen »Global Soft Power Index 2025«, der auf weltweiten Umfragen beruht, dass China auf Platz 2 stehe, direkt hinter den USA. Führend sei das Reich der Mitte bereits in den Kategorien »einfach, mit dem Land Geschäfte zu machen«, und »zukünftiges Wachstum«. In Kulturfragen sowie Medien und Kommunikation liegt es jeweils noch auf Platz 7.

Das ist kein Zufall, denn Beijing fördert gezielt seine kulturelle und politische Attraktivität. So rief Xi Jinping, kurz nachdem er Generalsekretär der Kommunistischen Partei wurde, im November 2012 die Losung des »Chinesischen Traums« aus, der zur »großen Wiederbelebung der chinesischen Nation« führen soll. Die Begrifflichkeit, die mittlerweile fest im sinisierten Marxismus verankert ist, knüpft zwar in erster Linie an Motive aus der traditionellen chinesischen Dichtung und politischen Geschichtsschreibung an, doch dürfte auch die begriffliche Nähe zu dem bekannten »American Dream« nicht ganz unbeabsichtigt sein.

Starker Einfluss in Afrika

In den letzten beiden Jahrzehnten arbeitet China entsprechend bewusst daran, sein Image zu verbessern. Das läuft einmal über die direkte staatlich-politische und mediale Ebene. So ist China seit 2019 die Nation mit den meisten Diplomaten im Einsatz. 2023 hatte die Volksrepublik 276 Botschaften und Konsulate, die USA folgten knapp dahinter mit 271. Die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua betreibt mittlerweile über 180 Büros weltweit mit geschätzt 10.000 Mitarbeitern.

Auf kultureller Ebene sind es bekanntermaßen vor allem die Konfuzius-Institute, die zu einem positiven Bild Chinas beitragen. Sie werden vom Hanban, der außenpolitischen Kulturorganisation der Volksrepublik, geleitet und bieten Sprachkurse, Seminare und Workshops an, etwa zu Kalligraphie oder chinesischer traditioneller Medizin. Sie sind ein relativ neues Phänomen: Das erste Institut wurde 2004 in Seoul eröffnet. Mittlerweile gibt es aber weltweit schon rund 550 Institute in über 100 Ländern (Stand 2023; zum Vergleich: Deutschland hat rund 160 Goethe-Institute).

In Europa und Nordamerika stößt dieses Bemühen um kulturelle Verständigung zwar auf Widerstand, da man den Konfuzius-Instituten kommunistische Einflussnahme unterstellt, doch zahlt sich das Bemühen insbesondere in den asiatischen Nachbarländern wie Kambodscha, Malaysia, Thailand und Vietnam sowie in Afrika aus. Eine Umfrage aus dem Jahr 2024 in 16 afrikanischen Ländern hat ergeben, dass 80 Prozent der Menschen zwischen 18 und 24 Jahren Chinas Einfluss als positiv sehen; damit ist es die positivste Macht auf dem Kontinent. Seit 2004 hat die Volksrepublik rund 5.500 Chinesischsprachlehrer in 48 afrikanische Länder entsandt (vgl. junge Welt vom 10.8.2022).

Zu der neuen »Soft Power« zählt auch der wachsende Austausch im Bildungsbereich. 2018 studierten über 500.000 Menschen aus dem Ausland an chinesischen Hochschulen, jedes Jahr werden Tausende Stipendien vergeben. Noch vor knapp zehn Jahren waren es nur halb so viele. Und der Trend ist weiter stark steigend, zumal Zugangsvoraussetzungen wie die HSK-Sprachprüfungen in den vergangenen Jahren stark vereinfacht wurden. In Relation zu den USA, wo es 2024 1,13 Millionen ausländische Studenten gab, ist das zwar noch vergleichsweise gering, dennoch ist China mittlerweile eine Topadresse für Studenten aus Asien und Afrika.

Geschickte Werbung

Ein wichtiger indirekter Faktor für die wachsende Beliebtheit Chinas ist natürlich das soziale Netzwerk Tik Tok, das mittlerweile weltweit 1,6 Milliarden monatliche Nutzer hat. Es trägt zwar nicht unmittelbar zur »Soft Power« bei – jeder entscheidet selbst, wem er folgt –, doch zumindest erleichtert die Plattform Nutzern, auch mit Menschen aus Ostasien und ihren Inhalten in Kontakt zu treten. Darüber hinaus erweist sich die Volksrepublik als immer geschickter darin, Influencer für sich zu gewinnen.

Besonders deutlich, gerade im Kontrast zur US-Politik, wird das an dem Beispiel von Khabane »Khaby« Lame. Der italienische Komiker mit senegalesischen Wurzeln ist der weltweit reichweitenstärkste Tik-Tok-Influencer mit über 162 Millionen Followern. Im Juni 2025 wurde er während einer Reise durch die USA von der Einwanderungsbehörde ICE wegen Überziehung seiner Visumdauer festgenommen und von US-Medien daraufhin unter anderem als »Linksextremist« diffamiert. Nachdem er die Staaten verlassen musste, sprang rasch China ein. Am 9. September startete er in Beijing eine China-Tour, über die wiederum die chinesischen Medien ausführlich und positiv berichteten. Lame steht stellvertretend für eine ganze Reihe an Meinungsmachern, die China als Reiseland für sich und ihr Publikum entdecken. In ihren kurzen Videos werden in der Regel Aspekte wie die Modernität des Landes, die perfekte (Verkehrs‑)Infrastruktur und der technische Fortschritt gelobt und Begeisterung für die alte Kultur oder die kulinarische Tradition entfacht.

Auffallend daran ist der eher unpolitische Charakter dieser Art Werbung für das Land. Die Volksrepublik wird zwar zunehmend zum Symbol für Stabilität und Fortschritt, doch eher selten bzw. indirekt wird dies mit dem Wirken der KP Chinas in Verbindung gebracht. Allerdings ist jede Art von Vermittlung, selbst wenn sie im Rahmen kapitalistischer Märkte erfolgt, bereits ein kleiner Erfolg im Bemühen um Frieden und Verständigung. Die deutsche Regierung mag in Ostasien eine Kanonenbootpolitik verfolgen, doch hilft die chinesische »Soft Power«, die Aneignung ihrer Sprache und Kultur im Rest der Welt, dabei, Feindbilder abzubauen oder gar nicht erst entstehen zu lassen.

Marc Püschel ist Redakteur im Thema-Ressort dieser Zeitung und ehrenamtlich Redakteur der marxistischen Philosophiezeitschrift Aufhebung

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