Neues Reden von Faschismus
Von Arnold Schölzel
Der »Faschismus« ist wieder da. Am Sonntag sagt Moderatorin Marietta Slomka im ZDF-»Heute-Journal« zum aus Toronto zugeschalteten US-Philosophieprofessor Jason Stanley, der Rummel um Donald Trump wirke »schon wie ein Führerkult, was ja eigentlich ein Kennzeichen des Faschismus ist«. Oder sei der Begriff hier »noch viel zu weit gefasst«? Stanley: »Nein, dieser Begriff passt. In den Vereinigten Staaten haben wir unsere eigene Geschichte von Faschismus. Hitler lobt die Vereinigten Staaten in ›Mein Kampf‹.« Stanley hat recht. Völkermord an »Untermenschen« – den Begriff hatte der »Führer« vom US-Autor Lothrop Stoddard – war ihm sympathisch und der Dollar-Segen von Henry Ford erst recht. Ohne Groß- und Monopolkapital kein Faschismus. Über Geldgeber – wie etwa den Milchmilliardär Müller für die AfD – wird aber geschwiegen.
Stanley meint, »Führerkult« sei mehr europäischer Faschismus, in den USA aber sei das rassistische Unterdrückungsregime der Südstaaten erst 1965 zu Ende gekommen. Das hätten schwarze Amerikaner als Faschismus beschrieben: »Wir sind eine junge Demokratie.« Erst das Wahlrechtsgesetz von 1965 habe die USA dazu gemacht, bis dahin habe eine »Herrenvolkdemokratie« geherrscht. Heute habe sein Land »das größte Gefängnissystem der Welt«. Es sei nicht klar, ob die USA je eine Demokratie waren, »sicher keine gesunde«. Man müsse aufhören, »über das Ende der US-Demokratie zu sprechen, wir sind weit über diesen Punkt hinaus«. In den USA herrsche ein »autoritäres Regime«: »Wir können diskutieren, ob es faschistisch ist oder nicht. Aber wir haben keine Grenzen mehr.«
In der Taz ist das am Freitag entschieden. Der ermordete Charlie Kirk sei »ein eloquenter und schlagfertiger Kommunikator der Trumpschen Idee des autoritär-faschistischen Staatsumbaus«, heißt es. Ein Kommentar des durchgeknallt antirussischen US-Historikers Timothy Snyder auf der Meinungsseite trägt den Titel: »Avantgarde des Faschismus«. Snyder meint den Einsatz von Soldaten im Inneren der USA und nennt ihn »das faschistische Prinzip«, Trump wolle »eine Republik in ein faschistisches Regime verwandeln«.
Etwas weniger großzügig mit der Vergabe des Prädikats »faschistisch«, dafür ernsthaft, ist am Freitag der SPD-Fraktionsvorsitzende in NRW, Jochen Ott, in einem Gastbeitrag für die FAZ. Überschrift: »Haben die Konservativen aus 1930 gelernt?« Er erinnert daran, dass im März 1930 das letzte SPD-geführte Kabinett der Weimarer Republik wegen einer scheinbaren Kleinigkeit zerbrach: »an einem Streit über 0,5 Beitragspunkte zur Arbeitslosenversicherung«. Ausschlaggebend sei die ultimative Forderung des Reichsverbands der Deutschen Industrie nach drastischen Leistungskürzungen und Steuersenkungen gewesen. Die SPD habe das Heft aus der Hand gegeben und es »den Rechtsparteien unnötig einfach gemacht«.
Ott zieht eine Parallele zu heute: Beachtliche Teile von CDU und CSU wollten »eine marktradikale Wende erzwingen … Die SPD möge sich fügen oder zur Seite gehen.« Füge sie sich nicht, wäre eine Minderheitsregierung eine Option: »Die Außen- und Sicherheitspolitik könnte die Union dann weiterhin mit der SPD gestalten, die Sozial- und Migrationspolitik mit der AfD.« Statt eines »Klassenkampfes im Kabinett« brauche es »jetzt also einen Klassenkompromiss«. Die SPD werde den Fehler von 1930 nicht wiederholen. »Die Konservativen auch?«
Welches Kalkül auch immer Ott verfolgt, sein Text besagt: Beachtliche Teile des deutschen Großbürgertums sind geneigt, die AfD-Karte zu ziehen. In deutschen Medien wird bis dahin von »Faschismus« geredet, solange er woanders stattfindet. Erste Voraussetzung bleibt: Schweigen vom Kapitalismus.
Beachtliche Teile des deutschen Großbürgertums sind geneigt, die AfD-Karte zu ziehen. In deutschen Medien wird bis dahin von »Faschismus« geredet, solange er woanders stattfindet. Erste Voraussetzung bleibt: Schweigen vom Kapitalismus.
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