Es war eine Bombe
Der Sprachwissenschaftler Reinhard Strecker, der am 8. September seinen 95. Geburtstag beging, deckte als einer der ersten in der BRD die Vergangenheit der sich dort wieder etablierenden Nazijuristen auf. Auszug aus einem jW-Interview, das Sabine Lueken und Dr. Seltsam 2009 mit ihm führten:
Nach dem Preußenschlag, dem Putsch von Hindenburg und Papen gegen die preußische Regierung am 20. Juli 1932, hat die Reichsregierung das Land Preußen, also zwei Drittel des Reiches, quasi annektiert und dann die ersten virulent antisemitischen Runderlasse herausgegeben. Und diese Runderlasse arbeitete ein junger Mann im Innenministerium aus: Das war Globke! (…)
Globke war ein profunder Verwaltungsbeamter, auf den man immer gerne zurückgriff?
Er gab sich immer gerne als sehr gläubiger Katholik aus, und er konnte seinen Antisemitismus mit seiner Religion gut verbinden. Das war ganz comme-il-faut.
Und deswegen hat Adenauer ihn auch eingestellt, oder gab es da noch untergründige Geschichten?
Da gab es noch sehr viel mehr. Aber das Wesentliche ist, Globke hat die ersten antisemitischen Erlasse der Reichsregierung ausgearbeitet und durchgesetzt. Die erlangten noch vor Hitler Gesetzeskraft. Ich habe es in meinem Globke-Buch abgedruckt. Wenn man das zusammenfasst, hieß es: Juden sollen sich hinter keinem deutschen Namen mehr verstecken können. Das hat er nachher verschärft. (…)
Die Nürnberger Gesetze kamen 1935, der Kommentar dann 1936 …
Die ersten Kommentatoren sind immer die Leute, die das Gesetz mit ausgearbeitet haben. Globke hat es bestritten, aber es gibt für mich keinen Grund, daran zu zweifeln, dass er an der Ausarbeitung beteiligt war, er hätte sonst nie die ersten Kommentare schreiben können.
Man kann ihn wohl zu Recht als antisemitischen Verbrecher bezeichnen?
O ja. Ein Schreibtischtäter. (…)
Und genau dieser Globke wurde dann Staatssekretär unter Adenauer, der höchste deutsche Beamte?
Er war schon früher wieder im Amt, aber vom zweiten Kabinett an war er der Staatssekretär Adenauers im Bundeskanzleramt. (…) Sein Nachfolger im Amt, Karl Gumbel, hat eine Antrittsrede gehalten, als Globke mit Adenauer zusammen verschwinden musste – 1963, als Adenauer nicht weiter kandidierte – und hat dabei betont, dass er anders als sein Vorgänger den Bundesministerien mehr Freiheit geben würde, vor allem in Bezug auf Personalentscheidungen. Denn sein Vorgänger, sprich Globke, habe sich ja noch jede einzelne Personalentscheidung – egal in welchem Ministerium und egal auf welcher Dienstranghöhe – persönlich vorbehalten! (…)
Als Sie das rausbekommen haben, gab es da schon Angriffe der DDR gegen Globke?
Nein, die DDR kam etwas später, denke ich mich zu erinnern. Zuerst war da die VVN, eine gemeinsame Organisation in West und Ost. Sie wurde im Januar 1953 in der DDR aufgelöst, ersetzt durch das »Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer«. Die VVN war in einigen Bundesländern auch verboten, aber in anderen bestand sie und war aktiv. Ich erinnere mich besonders gut an das, was ein ehemaliger Verfolgter, Sauer, in Stuttgart machte, der anfing mit kleinen Publikationen über »NS-Verbrecher wieder im Amt«. (…)
Wann erschien Ihr Buch und wie hieß es genau?
»Dr. Hans Globke. Aktenauszüge und Dokumente«, Verlag Rütten und Loening, damals in Hamburg, erschien 1961. (…) Gehlen hatte den Auftrag, das Erscheinen meines Globke-Buches zu verhindern. (…) Man hat mir berichtet, dass der Bertelsmann-Konzern, zu dem der Verlag gehörte, erpresst wurde, keine Bundesinstitution würde in Zukunft ein Buch des Konzerns kaufen, wenn mein Buch nicht verschwände.
Das ist aber nicht geschehen, wie man heute weiß.
Doch, zum Teil schon: Der Konzern entwickelte offensichtlich ein aktives Desinteresse gegenüber diesem Buchprojekt. Ich konnte nichts fotokopieren, sondern musste mit Schere und Klebstoff zweimal durch meine Originalkopien gehen. Ich hatte zwei Fünftel des Materials wegtun müssen, es war viel zu voluminös.
Aber eine Bombe war es trotzdem?
Natürlich war es eine Bombe. Der erste Antrag auf einstweilige Verfügung ging beim Konzern ein, noch während das Buch auf der Rotation war. Das Gericht verlangte vom Konzern ein Exemplar. Und das kriegte es, und dann stellte es fest: Nicht eine Seitenzahl stimmte mit der Klageschrift überein. Offenbar hatte sich der BND die ersten Druckfahnen besorgt. Nachdem die neugefasste Klage mit den richtigen Seitenzahlen einging, war inzwischen das Buch fertiggedruckt, runter von der Rotation und in einer Nacht gelumbeckt, das war das damals übliche Bindeverfahren, kein perfektes, wirklich. Und wurde in einer Nacht verpackt, an sämtliche Buchhandlungen, so dass es nicht mehr zentral zu greifen war. Im Konzern blieben 80 oder 100 Exemplare zurück. Alle anderen 30.000 waren aus dem Haus.
Auszug aus: »Es war eine Bombe«. Interview mit Reinhard Strecker von Sabine Lueken und Dr. Seltsam. In: junge Welt, 6. März 2009
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