Drahtseilakt in Bogotá
Von Elias Korte, Cali
Während in den Hinterzimmern der US-Strategen über mögliche Putschpläne gegen die kolumbianische Linksregierung getuschelt wurde, hat Bogotá eine andere Richtung eingeschlagen. Präsident Gustavo Petro beantragte im Mai 2025 den Beitritt zur New Development Bank (NDB) der BRICS-Staaten, in die das Land nur wenige Tage später aufgenommen wurde. Der Schritt sorgt in Washington für Nervosität. Kolumbiens erster linker Präsident sucht damit nicht nur nach alternativen Finanzierungswegen jenseits von Weltbank und IWF. Petro will die politischen Allianzen Kolumbiens diversifizieren, die Abhängigkeit von den USA lockern und sich stärker mit den aufstrebenden Volkswirtschaften des globalen Südens vernetzen.
Kolumbien ist geostrategisch relevant: Das Land verbindet den Pazifik mit der Karibik, liegt an der Schnittstelle von Mittel- und Südamerika und beherbergt zahlreiche US-Militärbasen. Es ist keine Randnotiz in einer sich neu ordnenden Welt, dass ausgerechnet Bogotá nun näher an die BRICS rückt – sondern ein Zeichen für die Erosion der bisherigen Vormachtstellung Washingtons in der Region.
Seit dem 19. Jahrhundert verstehen sich die USA als Türsteher des amerikanischen Kontinents. Mit der Monroe-Doktrin von 1823 hatten die nordamerikanischen Eliten klargestellt: keine europäische Einmischung auf dem Doppelkontinent. In der Praxis bedeutete das: militärische Interventionen, Wirtschaftsdiktate, Geheimdienstoperationen. Vom Sturz Allendes in Chile 1973 bis zur Militärhilfe im Rahmen des Plan Colombia in den 2000er Jahren hat Washington seine Interessen eisern durchgesetzt. Noch heute spricht man in der Hinterhoflogik von einer »Sphere of Influence« (Einflusssphäre). Dass die schwere Hand aus Nordamerika bald nicht mehr ganz so erdrückend über Kolumbien liegen könnte, lässt in den USA die Alarmglocken läuten. Die Nachrichtenagentur AP zitierte kürzlich einen US-Diplomaten, der den BRICS-Kurs Bogotás als mögliche »Verschiebung des geopolitischen Gleichgewichts in der westlichen Hemisphäre« bezeichnete.
Konkurrenz für Panamakanal
Chinas Einfluss in Lateinamerika wächst seit Jahren. Rund 20 Länder der Region sind mittlerweile Teil der chinesischen »Belt and Road Initiative« (Neue Seidenstraße, BRI), Kolumbien seit 2025 ebenfalls. Beijing investiert massiv in Infrastruktur: Der Bau der Metro in Bogotá, Hafenprojekte in Peru und Kolumbien sowie ein geplantes Logistikvorhaben namens »Buenaventura-Shanghai« verdeutlichen, dass es nicht nur um Handel, sondern um strategische Kontrolle über Verkehrswege geht. Laut der South China Morning Post hat China die USA als wichtigsten Handelspartner in mehreren lateinamerikanischen Staaten bereits abgelöst. Das Handelsvolumen übersteigt inzwischen 500 Milliarden US-Dollar, Tendenz steigend.
Ein weiteres Puzzlestück der neuen Strategie ist die geplante Pazifik-Atlantik-Verbindung in Kolumbien. Bereits unter Präsident Juan Manuel Santos (2010–2018) wurden Machbarkeitsstudien für eine Eisenbahntrasse zwischen dem Pazifikhafen Buenaventura und der Karibikküste bei Urabá durchgeführt. Unter Petro wird der Plan nun konkret: In Shanghai machte er im Mai gegenüber der NDB-Bank den Vorschlag, entweder eine Bahntrasse oder sogar ein Kanalprojekt über rund 120 Kilometer zu bauen, das den Warentransport zwischen den Ozeanen beschleunigen soll.
Finanziert werden könnte das Megaprojekt über die BRICS-Bank und Chinas Seidenstraßeninitiative BRI. Kolumbien investiert dafür selbst 512 Millionen US-Dollar in NDB-Aktien. Ein entsprechendes BRI-Abkommen wurde offiziell unterzeichnet. Sollte das Vorhaben Realität werden, wäre es eine direkte Konkurrenz zum von den USA dominierten Panamakanal.
Doch es gibt Hindernisse: Die topographischen Hürden der Anden, Umweltauflagen und immense Kosten könnten das Projekt zurückwerfen. Umweltverbände warnen vor gravierenden Eingriffen in die sensiblen Ökosysteme des Darién-Regenwalds und der Urabá-Region. Kolumbien steht exemplarisch für das Dilemma vieler Länder des globalen Südens: Es will eine ökologisch nachhaltige Entwicklung umsetzen, während gleichzeitig die geopolitischen Kräfte auf das Land einwirken.
Historisch ist der Plan vorbelastet. Anfang des 20. Jahrhunderts führten gescheiterte Verhandlungen zwischen Bogotá und Washington über den Bau eines Kanals zur Abspaltung der damaligen kolumbianischen Provinz Panama – mit tatkräftiger Unterstützung aus den USA. Der damals entstandene Panamakanal ist bis heute Symbol der US-Dominanz in der Region. Erst Jahre später zahlten die USA Kolumbien eine Entschädigung in Höhe von 25 Millionen US-Dollar – als Entschuldigung für ihre Mitverantwortung an dem kolumbianischen Nationaltrauma des Verlusts der nördlichen Region.
Ein Kontinent im Umbruch
Kolumbien ist kein Einzelfall. Auch Brasilien, Chile, Peru und Uruguay bauen ihre Kooperationen mit China massiv aus. Unter Präsident Lula da Silva kommt Brasília dabei eine Schlüsselrolle zu: Mit dem Fonds »Tropical Forests Forever Facility« will Brasilien 125 Milliarden US-Dollar für den globalen Waldschutz einsammeln, wobei es wohl auf Hilfe aus China zählen kann. Die Klimakonferenz COP30 im November 2025 im brasilianischen Belém könnte zu einem geopolitisch aufgeladenen Schaufenster des globalen Südens werden. Besonders der Amazonas wird als Kapital der Anrainerstaaten gegenüber den Industrieländern in die Waagschale geworfen.
Parallel zu den Plänen in Kolumbien entstehen bereits Abschnitte bi-ozeanischer Korridore in Südamerika. Besonders Brasilien und Peru arbeiten mit Bolivien an einer Verbindung zwischen dem brasilianischen Hafen Santos und dem peruanischen Ilo am Pazifik. Diese Projekte bieten Alternativen zu US-dominierten Handelsrouten und festigen den chinesischen Einfluss in der Region.
Auch in der Wirtschaft verzahnt sich Lateinamerika zunehmend mit Beijing. Der chinesische Konzern BYD produziert Elektroautos in Brasilien, Huawei baut Datenzentren, und Chinas staatlicher Lebensmittelgigant Cofco investiert in den Hafen von Santos, um den Agrarexport in die Heimat auszubauen.
Die geopolitische Neuausrichtung Lateinamerikas bietet Chancen: mehr Unabhängigkeit vom US-Markt, neue Infrastruktur, grüne Technologien und Finanzierungsquellen jenseits des Westens. Kolumbien könnte als Modell für eine ökologische Entwicklungspolitik mit Süd-Süd-Allianzen dienen.
Spannungen unausweichlich
Obwohl von Bogotá das gute Verhältnis zu den USA, die NATO-Partnerschaft und die Militärpräsenz der USA nicht in Frage gestellt werden, birgt die Öffnung Richtung China Risiken. Die USA zeigen sich empfindlich getroffen und reagieren mit diplomatischer Abkühlung, Zöllen und wirtschaftlicher Erpressung. Zudem droht eine neue Form der Abhängigkeit, diesmal von China. Und Umweltkonflikte um Großprojekte wie den möglichen interozeanischen Korridor zeichnen sich ab.
Lateinamerika im Allgemeinen und Kolumbien im Besonderen stehen an einem Wendepunkt. Die multipolare Weltordnung bekommt eine konkrete Gestalt, mit neuen Allianzen, neuen Konflikten und offenen Fragen. Wie weit wird Washington den kolumbianischen Kurs Richtung BRICS, BRI und globalem Süden dulden? Der mexikanische Geopolitikanalyst Alfredo Jalife-Rahme sieht Lateinamerika in einer Schlüsselrolle in der chinesisch-asiatischen Ära. Dieser ist sich auch Washington bewusst, ohne dem Hegemonieverlust bisher wirklich etwas entgegensetzen zu können. Die Karten werden gerade neu gemischt, aber eine Phase wachsender Spannungen zwischen den USA, China und den aufstrebenden Regionen des Südens ist unausweichlich.
Elias Korte ist Sozialwissenschaftler und lebt als freier Korrespondent in Kolumbien. Er beschäftigt sich unter anderem mit Konflikt- und Friedensfragen sowie Lateinamerika im globalen Kontext
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