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Aus: Wein, Beilage der jW vom 11.06.2025
Anderes Museum

Heimat für überschüssige Gedanken

Das Nonseum in Herrnbaumgarten präsentiert vermeintlich überflüssige Erfindungen, die die Welt unbedingt braucht
Von Hans-Eckardt Wenzel
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Illustration aus einem niederländischen Weinkalender (1929)

In der modernen Welt hat sich das Absurde, das Sinnlose als fester Bestandteil behauptet, oft kostümiert als Fortschritt. Wie nun, wenn man offenlegt die verborgene Schicht unter den Dingen und Phänomenen? Wenn der Unsinn als Unsinn und nicht als hoher Sinn gezeigt wird? Da befällt die Politiker in Machtpositionen plötzlich Urangst, die allem Erhabenen innewohnt: verlacht zu werden! Die Geschichte, wie sie uns erzählt wird in Museen, an Gedenktagen, in Kompendien, Feiertagsreden und Dissertationen, verdrängt das Absurde. Es herrscht künstlich aufrechterhaltene Logik. Aber auch die Dinge und Phänomene spielen das Märchen »Des Kaisers neue Kleider«. Der Kaiser ist nackt! Die Erfindung der EU-Kommission, zum Beispiel Plastikverschlüsse an Trinkflaschen so zu befestigen, dass sie selbst beim Trinken nicht von der Flasche gelöst werden können, um die Umwelt zu schützen, aber nebenbei das Trinkvergnügen, den eigentlichen Zweck der Flasche, elementar zu stören und sogar Lippenverletzungen in Kauf zu nehmen – immer im Sinn, dass der Mensch zu dumm sei für diese Welt und es nur die Technologie richten kann –, auch diese Erfindung könnte ein Streich der Narren aus Herrnbaumgarten sein! Denn diese entwickeln permanent Konstruktionen, uns vorzuführen, dass man in diesen Breiten keinen Heller mehr auf die Kultur setzt. Maschinen sollen uns erlösen! Das ist zum Totlachen.

Historische Knopflöcher

Dies alles bedenkend im höchsten Genuss der Diesseitigkeit und leicht beschwipst vom Charme des Unsinns, gehe man auf die Wanderschaft ins Weinviertel, die Hügel entlang, weinbewachsene Hänge, und plötzlich siehst du mitten in der Landschaft einen großen Platz zum Trocknen von Wäsche. Doch auf den Leinen hängen nur Socken. Einzelne Socken. Socken, die übriggeblieben sind, zu denen das zweite Stück fehlt und die uns so nichts mehr nützen. 10.273 verwaiste Socken. Das Liebesleid der Socke. Dieses Denkmal der menschlichen Unvollkommenheit kurz vor dem Flecken Herrnbaumgarten gehört als Außenbereich zum großangelegten Schlag gegen die Unvernunft, zum intellektuellen Recyclingbetrieb zur Verwertung von Gedankenüberschüssen, zu jener gigantischen Sammlung von Erfindungen, die kein Mensch braucht – all dies gehört zum »Nonseum«.

Alles dies im utilitaristischen Sinne Unbrauchbare verführt dich zu einem utopischen Lächeln, dieser menschlichen Regung, die uns schöner zu machen imstande ist. Wir erkennen den Nonsens sofort, auf einen Blick, eine heurekanische Erleuchtung. Das Absurde hat keine Pointe wie ein Witz. Will es enttarnt und belacht werden, muss es als Nonsens erkannt werden, nur dann streut es die Energie des Komischen aus.

Da liegt eine Sammlung historischer Knopflöcher. Das Nichts als gespielte Form. Da fasziniert der ausrollbare Zebrastreifen für unterwegs oder die große Leiter mit nur einer Sprosse in unerreichbarer Höhe, deren Namen man ob unseres vorausahnenden Scheiterns lapidar des harten »T« beraubt und durch ein weiches »D« ersetzt, nur noch seufzend »Leider« nennen kann. Die Stille, die zum Inventar aller Museen der Welt gehört, wird hier oft unterbrochen vom Kichern und Lachen. Das befreiende Lachen gehört zu den anarchistischen Fähigkeiten des Menschen, es nimmt keine Rücksicht und ist doch nicht rücksichtslos, wenn es kein Verlachen ist, kein Verlachen von Schwäche. Unsinn zu verlachen stärkt.

Man kann, ja, man sollte, wenn man es schon einmal ins Weinviertel geschafft hat, mindestens eine Flasche Grünen Veltliner leeren, denn dann kann es passieren, dass im eigenen Kopf oder im mehrdeutigen Gespräch mit den Eingeborenen in Weinkellern und Heurigenwirtschaften sich eine Menge überschüssiger Gedanken melden, die nach einem Ort suchen, wie dem Nonseum. Im Überschüssigen, Überflüssigen sammelt sich das kulturelle Treibgut der Moderne und findet oft nur in Ausnahmesituationen eine Formung, in der Langeweile oder im Rausch, wenn sich Ernst und Spiel zu vermischen beginnen. So wie Außerirdische unsere hochgelobten Erfindungen als Zeitverschwendung betrachten könnten, so zeigen uns die Ingenieure, Konstrukteure und Ideologen des Tonzeugs, welche Bewusstseinserweiterung durch geistige Irrwege möglich sind. Nicht nur Drogen vermögen uns aus der festgefahrenen Ordnung zu befreien. Auch das Absurde ist dazu in der Lage. Und vor allem: der Wein! »Im Weinviertel ohne ein Viertel Wein / Ist wie ein Marathon ohne ein zweites Bein.«

Ohne Moral

Es ist eine besondere Art von Humor, die sich hier Platz geschaffen hat. Im fernen Echo erahnt man das große Gewirr von Mentalitäten und Kulturen aus der k. u. k. Monarchie, jener großen, vergangenen Europäischen Union, wo man sich eben nur mit Witz und Hintersinn seinen Platz erkämpfen und nicht auf Identität oder ein abstraktes Recht pochen konnte. Für diese Art Humor gibt es im preußisch definierten Deutschland selten Verständnis. Dort hat sich zunehmend Humorlosigkeit eingeschlichen und frisst sich als moralisches Überlegenheitsgefühl, zu den Besseren zu gehören, in die Seele der treuen Staatsfrauen und -männer. Wer auf Moral setzt und sie zur Norm der Gesellschaft erklärt, geht stets davon aus, dass er selbst zu den Guten gehört. Für jene, die sich auf der besseren Seite der Welt dünken, ist das Absurde nicht verständlich, denn das Absurde ist mittels Moral nicht darstellbar. Trägt am Ende die nüchterne Weltsicht des Protestantismus an unserem nördlichen Ungeschick mit dem Komischen Schuld? Meinte nicht Hugo Ball, dass der Protestantismus eigentlich keine Religion mehr sei, sondern eine Art Sprachwissenschaft, ein linguistisches Unternehmen? Das karnevalistische Prinzip, den Esel zum König zu machen – das ertragen die Könige in unseren Breiten nicht mehr, das lassen sie sich nicht mehr bieten. Dafür gibt es im Nonseum ein Jagdgewehr für Selbstmörder. Der Lauf dreht sich um 180 Grad und zielt auf den Schützen selbst.

Für all dies lohnt sich ein Ausflug nach Herrnbaumgarten ins »verruckte« Dorf, wo die Ortseingangsschilder zuerst in Finnisch, Russisch, Chinesisch davor warnen, nur nicht alles zu glauben. Dort gewährt man der Nüchternheit keine große Bedeutung. Immer liegt ein Schleier über der Welt und macht selbst die Widerrede zu einem Spiel. So gibt es die Sage, dass 80 Prozent der Einwohner des Weinviertels wegen überhöhten Alkoholgenusses an Leber­zirrhose sterben und die restlichen 20 Prozent von Betrunkenen überfahren würden. Wie soll man sich da entscheiden angesichts des unabwendbaren Todes? Man brauchte karnevalistische Gedanken, die Narretei, Erfindungen, die keiner braucht, erdacht vom Komitee für überschüssiges Gedankengut, damit wir es ertragen in dieser Welt der künstlichen Intelligenz und natürlichen Dummheit, damit wir einen doppelten Boden unter unsere Füße zaubern können, damit wir trotz aller statistischer Widerlegungen doch in der Lage sind, über den erdrückenden Tatsachen zu schweben.

Nonseum, Poysbrunner Str. 9, 2171 Herrnbaumgarten, Österreich

Samstags, sonntags und feiertags 10–18 Uhr, donnerstags und freitags 13–18 Uhr

www.nonseum.at

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