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Aus: Wein, Beilage der jW vom 11.06.2025
Rotwein

Mit braunem Abgang

Wie der Zweigelt zu seinem Namen kam, und warum er ihn nicht los wird
Von Erich Hackl
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Franz Kellerhoven: Die Weinlese und Noahs Trunkenheit (1870)

Der Zweigelt ist die mit Abstand meistverbreitete Rotweinsorte Österreichs. Vierzehn Prozent der gesamten Weinbergfläche des Landes sind mit seiner Rebe bestockt, die einen fruchtigen, nach Kirschen und Weichseln schmeckenden Wein von dunkler rotblauer Farbe hervorbringt, frostfest und ertragreich ist und selbst auf nährstoffarmen Böden gut gedeiht. Der Name geht auf den Insektenforscher und Biologen Fritz Zweigelt zurück, der die autochthonen österreichischen Sorten Sankt Laurent und Blaufränkisch miteinander gekreuzt und das Ergebnis unter der Nummer 71 im Zuchtbuch für das Jahr 1922 verzeichnet hatte.

Zweigelt war damals Leiter der Rebstation an der Weinbauschule Klosterneuburg und wegen seiner vielen Fachpublikationen und Vorträge in ganz Mitteleuropa bekannt. Nach eigener Darstellung von seinem Vater, einem steirischen Dorfschullehrer, »zum Kampf gegen die Übergriffe des Katholizismus erzogen« und schon als Student deutschnational eingestellt, sollte er im Mai 1933 der illegalen NSDAP, drei Jahre später der gleichfalls verbotenen Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation (NSBO) beitreten und nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht im März 1938 seine österreichtreuen Lehrerkollegen an der Weinbauschule denunzieren.

Ein Überzeugungstäter

Widerstand gegen Zweigelts Ambitionen, Klosterneuburg von »weltanschaulich unzuverlässigen« und fachlich minderqualifizierten Elementen zu säubern, kam von konkurrierenden Nazis, die ihn der Mitgliedschaft bei der »Schlaraffia« bezichtigten, einem skurrilen Männerbund von gewöhnungsbedürftigem Humor, dessen Ortsgruppen trotz freiwilliger Gleichschaltung vom Naziregime verboten worden waren. Zweigelt setzte sich gegen seine Gegner durch, wurde aber vorerst nur zum kommissarischen Leiter, erst im Mai 1943 zum Direktor der Anstalt bestellt. Sowohl die Ansprachen und Schriften, in denen er Hitler, Krieg und Nazitum verherrlichte, als auch die Erinnerungen der Zeitzeugin Grete Huber-Gergasevics in Gerald Teufels Dokumentarfilm »Zweigelt. Wein und Wahrheit« (2011) lassen erkennen, dass er mehr als nur ein Opportunist, nämlich ein Überzeugungstäter, und dazu noch ein Despot und Intrigant war.

Allerdings hat er nicht, wie lange Zeit kolportiert wurde, einen Schüler der Klosterneuburger Weinbauschule, Josef Bauer, als Mitglied der vom Augustiner-Chorherren Roman Karl Scholz geführten »Österreichischen Freiheitsbewegung« bei der Gestapo angezeigt. Wie der FAZ-Redakteur und Weinexperte Daniel Deckers in seiner peniblen Biographie »Friedrich Zweigelt (1888–1964). Wissenschaftler, Rebenzüchter, Nationalsozialist« (2023) nachgewiesen hat, begnügte Zweigelt sich damit, die Bitte von Bauers Vater um ein positives Sittenzeugnis für seinen verhafteten Sohn abzulehnen und den Jungen »für immer« vom Schulbesuch auszuschließen. Im Gegensatz zu Scholz und acht weiteren Mitgliedern der Widerstandsgruppe wurde Bauer nicht hingerichtet, sondern in die Strafanstalt Anrath überstellt. Nach Kriegsende führte er eine Gärtnerei. Er starb, erst 42jährig, an einem Herzleiden, das er sich vermutlich im Gefängnis zugezogen hatte.

Typisch für Zweigelts Mischung aus Pose und Fanatismus sind die Verse, die der Hobbymaler und Gelegenheitsdichter 1944 zum »Heldentod« seines Sohnes Rudolf geschrieben hat. Nicht das Andenken an den Gefallenen war ihm wichtig, sondern die Ehrfurcht vor sich selbst: »Wie hart, sich vom toten Kinde zu trennen / Vom Tode zum Leben Abschied nehmen / Doch nein, ich muss auf mein Träumen verzichten / Ich hab’s dem Kinde gelobt und geschworen / Vor mir steh’n des Toten ewige Pflichten / Ich hab alles Recht auf das Nichtsein verloren / Bis einmal mein Uhrwerk darf stillestehen.«

Es stand, vorerst einmal, am 30. Juni 1945 still. An diesem Tag wurde Zweigelt wegen Volksverhetzung festgenommen. Nach eingehenden Vernehmungen kam die Polizei Klosterneuburg zu dem Schluss, dass er als »Scharfmacher und Denunziant großen Formates« zugunsten seines beruflichen Weiterkommens vor nichts zurückgeschreckt sei. Trotzdem wurde er ein halbes Jahr später enthaftet und das beim Volksgericht Wien gegen ihn anhängige Strafverfahren auf Anordnung des Bundespräsidenten Karl Renner im Juli 1948 eingestellt. Drei Monate später wurde Zweigelt in den Ruhestand versetzt, den er als Berater eines Futtermittelunternehmens in Graz verbrachte. Ab 1954 nahm er wieder an den Zusammenkünften der »Schlaraffia« teil; nach dem Urteil eines seiner Kumpane sei er verbittert und mürrisch gewesen und des öfteren ausfällig geworden.

Dabei hat Zweigelt die Anerkennung für die von ihm kreierte Rebe durchaus noch erfahren: Als der Wachauer Kellereibesitzer Lenz Moser erkannte, dass sich die Kreuzung Nummer 71 für die von ihm eingeführte »Erziehung« des Weinbaus – durch sortenreine Auspflanzungen, größere Reihenabstände und höhere Stammhöhe der Rebstöcke – besonders bewährte, wollte er ihr den Namen seines ehemaligen Lehrers an der Weinbauschule in Klosterneuburg geben. Zweigelt war gerührt und einverstanden. Als »Zweigeltrebe Blau« wurde sie 1972, acht Jahre nach seinem Tod, ins Rebsortenverzeichnis aufgenommen, die Benennung 1978 zu »Zweigelt Blau« verkürzt. Die zweite offiziell zugelassene Bezeichnung, Rotburger, die politisch unverfänglich wäre, geriet in Vergessenheit.

»Blauer Montag«

Es hat nicht an Bemühungen gefehlt, die Namensgebung nach diesem ehr- und reue­losen Nazi zumindest symbolisch rückgängig zu machen. Den vorletzten Versuch startete zum Jahreswechsel 2018/19 das Wiener »Institut ohne direkte Eigenschaften« um den Publizisten Robert Sommer. Unter dem Motto »Abgezweigelt« forderte das Künstlerkollektiv die Umbenennung in »Blauer Montag« und fand auch zwei Winzer, Friedl Umschaid und Maximilian Brustbauer, die mit gutem Beispiel, aber ohne Nachfolger vorangingen. Das mediale Echo war beträchtlich, so dass der damalige Geschäftsführer der Österreich-Wein Marketing GmbH, der Weinhändler Willi Klinger, eine Historikerkommission einsetzte, die einstimmig die Empfehlung aussprach, die Sorte Zweigelt nicht umzubenennen und statt dessen »Begleitmaßnahmen zur Kontextualisierung« zu setzen. Als Begründung wurde angegeben, dass eine Namensänderung »nicht zur notwendigen Aufarbeitung des problematischen Werdegangs Zweigelts« beitragen, sondern diese abrupt wieder beenden würde. Nach dieser Logik, befand der Kabarettist Peter Klien vier Jahre später, »sollte der Rooseveltplatz bei der Votivkirche in Wien auch weiter Hermann-Göring-Platz heißen und der Rathausplatz auch weiter Hitlerplatz«.

Beide Initiativen – die des Satirikers, der Zweigelt-Flaschen mit dem Etikett »Zweifelt! Nein zum Naziwein« versehen hat, und die der Historiker mit ihrem Vertrauen in die Wirksamkeit von »Kontextualisierungen« – scheitern an der Weigerung der österreichischen Winzer und Weinexporteure, den gut eingeführten Namen aufzugeben. Am liebsten wäre es ihnen, wenn sich ein Namensgeber fände, der genau- oder fast so heißt wie der jetzige, aber kein Nazi war. »Vielleicht Stefan Zweig-elt?« postete ein anonymer Leser auf der Website der Wiener Zeitung Der Standard.

Erich Hackl ist Schriftsteller. Von ihm erschien zuletzt »Rudolf Schönwald: Die Welt war ein Irrenhaus. Meine Lebensgeschichte. Nacherzählt von Erich Hackl« (Wien 2022).

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