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Aus: Wein, Beilage der jW vom 11.06.2025
Klimawandel und Weinbau

Durchhalten in schwierigen Zeiten

Biowinzer Reinhold Großmann aus Windesheim an der Nahe über Weinbau in Zeiten von Klimawandel und Marktschrumpfung
Von Reinhard Lauterbach
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Leandro Bassano: »September«, aus der Serie »Die Jahreszeiten« (spätes 16. Jahrhundert)

Vor welche Herausforderungen stellt der Klimawandel den Weinbau?

Durch den generellen Temperaturanstieg treiben die Reben früher aus, kommen früher in die Blüte, und die Trauben werden früher reif.

Aber das wäre ja nur eine einfache Verschiebung im Jahresablauf.

Das ist zwar einfach, aber zum Beispiel die Spätfröste im Mai, die sind ja im gleichen Zeitfenster geblieben. Und das hat dramatische Folgen. Es ist ein Unterschied, ob die Knospe noch geschlossen ist Anfang Mai oder ob der Trieb schon 25 Zentimeter groß ist. Dadurch, dass es früher austreibt, wird die Anfälligkeit für Spätfröste dramatisch größer.

Andererseits heißt es ja, es wird immer trockener. Macht Ihnen das auch zu schaffen?

Ja, natürlich, obwohl es bei uns in der Region nicht so schlimm ist. Das betrifft vor allem die traditionellen Steillagen. Denn die haben oft einen hohen Gesteinsanteil mit wenig Humus und wenig Ton; dadurch erwärmen sie sich einerseits schneller, und trocknen auch schneller aus wegen der starken Einstrahlung. Und wenn das Wasser dann einmal weg und der Boden im August völlig trocken ist, dann geht die Rebe zugrunde. Sie treibt dann zwar im Jahr darauf wieder aus, aber für dieses Jahr ist der Ertrag weg. Ich würde mal sagen, so extrem mit der Trockenheit ist das bei uns noch nicht, das ist nicht das Hauptproblem. Das Problem sind die extremen Wetterereignisse. Jetzt zum Beispiel, Anfang Juni, sind wir in der Blüte, was ungefähr eine Woche früher ist als im Schnitt, und jetzt haben wir nach Wochen der Trockenheit eine Regenperiode.

Also nicht der Regen als solcher schadet, sondern dass es immer richtig dick kommt.

Ja, und dass es lange anhält. Und durch die großen Temperaturdifferenzen auch Hagel dabei ist, viel häufiger als früher. Ich bin seit 40 Jahren Winzer, ich habe keine Hagelversicherung, denn wenn es früher mal gehagelt hat, hat man gedacht, gut, nächstes Jahr dann halt nicht. Aber es gibt ja Regionen, da hagelt es mittlerweile jedes Jahr. Der Punkt ist, dass die Extremwetterereignisse den auf ein gemäßigtes Klima angewiesenen Weinreben schaden: Frost, Hitze und Trockenheit.

Das ist so, wie man früher gesagt hat, der Sozialismus hat vier Feinde: Frühling, Sommer, Herbst und Winter.

(Lacht.) Es geht einfach um die Ausprägung, um das Extrem. Weinreben wachsen eigentlich in einem warm-gemäßigten Klima. Da geht die Temperatur vielleicht mal über 30 Grad, aber nicht eine Woche auf 36 mit extremer UV-Einstrahlung. Das sind alles kleine Stellschrauben, die aber in der Summe schon an der Qualität was ausmachen.

Sie haben auch mit neuen Schädlingen zu tun. Welchen?

Zum Beispiel mit der Kirschessigfliege. Die hat es vor 2017 hier überhaupt nicht gegeben, und die macht dem Rotwein wirklich schwer zu schaffen, auch den rot einfärbenden Weißweinen, zum Beispiel dem Grauburgunder. Das ist ein in Europa relativ neuer Schädling, der extrem große Schäden verursacht. Vor allem, weil es noch keine Bekämpfungsstrategie gibt. Und es ist auch eine Frage des Preises: Wenn jemand für 50 Cent einen Liter Wein produzieren muss, dann muss er auf die Kosten achten.

Sie haben vor 35 Jahren auf Bio umgestellt. Ist es für Sie schwieriger, mit den Folgen des Klimawandels umzugehen, als für Ihre konventionell wirtschaftenden Kollegen?

Es ist auf jeden Fall aufwendiger. Das bezieht sich nicht in erster Linie auf die Bodenpflege oder die Beikrautregulierung, sondern vor allem auf den Pflanzenschutz. Im Bioanbau sind ja nur Kontaktfungizide zugelassen. Wenn ich jetzt zum Beispiel gestern gespritzt hätte, und da regnet es heute 15 Liter pro Quadratmeter drauf, dann ist mein Spritzbelag abgewaschen. Dann müsste ich sofort wieder nachspritzen. Mit einem konventionellen Spritzmittel verteilt sich der fungizide Wirkstoff in der ganzen Pflanze, das ist von der Pflanzengesundheit her ein enormer Vorteil.

Sie bauen etliche neugezüchtete oder pilzwiderstandsfähige Rebsorten an. Gehört denen die Zukunft?

Das hängt alles davon ab. Wenn Henkell oder irgendein andere großer Player auf dem Markt sagen würde, wir nehmen für unseren Basissekt nur noch pilzwiderstandsfähige Sorten, dann wäre das ein Riesenvorteil: weniger Pflanzenschutz im Anbau, höhere Ertragsstabilität und, und, und … Der Verbraucher hätte auch einen Vorteil, weil das Produkt ökologischer erzeugt würde. Aber soweit ist der Markt noch nicht. Das ist auch eine politische Entscheidung. Ich mit meinen Piwis (pilzwiderstandsfähige Rebsorten, jW), meiner Phönix, meiner Saphira, meinem Regent – gut, bei dem ist das nicht so dramatisch, weil Rotwein ja vom Gerbstoff lebt, aber Weißwein lebt von der Feinfruchtigkeit, und diese Piwis haben ein anderes Geschmacksspektrum, an das man sich erst gewöhnen muss. Aber ich bin mir sicher: Wenn das politisch oder gesellschaftlich gewollt wäre, ließe sich das etablieren. Aber dazu müsste man halt Geld in die Hand nehmen. Heute geht ja alles nur noch übers Geld.

Die Leute müssen also ihren Geschmack umstellen, wollen Sie sagen.

Das Bewusstsein! Das geht über das Bewusstsein. Wenn den Leuten klar ist, dass das das ökologisch bessere Produkt ist, auch wenn es ihnen nicht so gut schmeckt, dann kaufen sie das vielleicht eher.

Aber warum soll ich einen Wein kaufen, der mir nicht so gut schmeckt wie meinetwegen ein Riesling oder ein Weißburgunder?

Ja, ich weiß. Aber Geschmack ist halt Gewohnheit.

Was passiert, wenn der Anbau bestimmter Sorten immer schwieriger wird? Ich habe mal gelesen, dass sie im Rheingau inzwischen den Riesling ganz oben am Waldrand anbauen, weil es unten im Tal zu heiß ist.

Ich glaube, dass der Riesling eine sehr gute Zukunftsoption ist. Früher war er den besten Südlagen vorbehalten. Wenn Sie heute den Riesling in eine Ackerlage mit hohem Tonanteil pflanzen, und dann haben Sie 1.800 Sonnenstunden im Jahr und eine höhere Temperaturdifferenz zwischen Tag und Nacht in der Reifezeit, dann können Sie auf diesem Standort einen grandiosen Riesling anbauen. Auch wenn er dann nur noch 6,5 Promille Säure hat. Das kommt ja vielen Verbrauchern auch entgegen, dass sie sich nicht mit neun Promille herumquälen müssen.

Wie steht es denn um den Verbrauch?

Wir haben im Moment im ganzen Weinbau eine ziemlich große Krise. Der Absatz ist innerhalb eines Jahres stark gefallen, es gibt ein dramatisches Überangebot an Wein. Dazu kommt eine problematische Altersstruktur. Der etablierte Weintrinker ist inzwischen zwischen 70 und 90 Jahren alt – die Leute sterben oder müssen aus gesundheitlichen Gründen den Konsum reduzieren. Und die jungen Verbraucher, die nachwachsen, die haben nicht mehr diese Treue wie die alten Stammkunden. Die muss man mit Events und Geschichten ständig an das Thema Wein heranführen. Das führt dazu, dass die Anbaufläche, die für die Direktvermarktung gebraucht wird, zurückgeht. Wenn ein Betrieb früher auf zehn Hektar 100.000 Flaschen vermarktet hat und jetzt nur noch 50.000, dann brauchen wir auch nur die Hälfte an Fläche. Und wenn es bei den niedrigen Preisen, die die Genossenschaften im Massenmarkt zahlen, nicht mehr lohnt, diese Flächen zu bewirtschaften, dann fallen sie einfach weg. Hier an der Nahe werden von den 4.000 Hektar, die im Moment noch bewirtschaftet werden, in zehn Jahren bestimmt 1.000 Hektar gerodet sein, vielleicht noch mehr. Einfach weil der Markt schrumpft.

Führt das nicht dazu, dass der Wein im Durchschnitt besser wird?

Ich glaube, dass die Selbstvermarkter bestrebt sind, das Optimum aus ihren Trauben herauszuholen. Aber da ist nicht mehr viel zu holen in der Spitze. Ich weiß nicht, ob der Wein besser wird. Er wird vielleicht anders. Mit dem Klimawandel gibt es ja auch bei der Weinqualität andere Herausforderungen. Wenn die Trauben früher reifen und das Reifefenster kürzer ist, dann veratmen die Aromen schneller, dann ist die Säure niedriger, der pH-Wert wird höher. Also ich zweifle, ob die Weinqualität da noch zu steigern ist. Das Mostgewicht, also der Zuckergehalt, ist künftig nicht mehr der entscheidende Faktor bei der Ernte. Künftig wird es um die Säure gehen. Dass der Wein eine gewisse Säure aufweist, damit er über den Verarbeitungsprozess Stabilität behält. Früher hatte ein saurer Riesling einen pH-Wert von 2,8, das ist so sauer, da fühlt sich kein Bakterium drin wohl. Das sind Weine, mit denen können Sie Fenster putzen. (Lacht.) Wenn jetzt die pH-Werte steigen, hat die Hefe viel mehr Konkurrenz, da können zum Beispiel Milch- oder Essigsäurebakterien viel leichter den Verderb vorantreiben.

Wie wird der Wein der Zukunft sein?

Der Wein wird wahrscheinlich in Zukunft der Erwartungshaltung des Verbrauchers entsprechend gemacht. Wenn Leute einen Anspruch auf einen voluminösen, 13,5voltigen trockenen oder halbtrockenen Riesling mit entsprechendem Säurespektrum haben, dann wird das kein Problem sein, so einen Wein jedes Jahr zu produzieren. Da muss man nicht fünf Jahre auf den nächsten Spitzenjahrgang warten. Dadurch, dass die Temperatur steigt, steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Trauben jedes Jahr reif sind. Wenn Sie dann im Weinberg Vorsorge treffen, können Sie jedes Jahr das Spitzensegment, das mittlere und das Basissegment produzieren.

Reinhold Großmann arbeitet in Windesheim bei Bad Kreuznach (bioweinegrossmann.de). Zu empfehlen sind: Riesling Spätlese trocken »vom Schiefer« (8,50 Euro), Grauburgunder Spätlese trocken (7,50 Euro) und Riesling-Sekt brut (10 Euro)

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