Viel Grün
Von Daniel Bratanovic
Du hast ja so viel Wein! Wer wird da schon klagen? Zur inzwischen elften Ausgabe des kleinen Supplements, das dieser Zeitung seit 2015 einmal im Jahr beiliegt und das den Wein (zugegeben: nahezu immer den weißen, zugegeben: fast ausschließlich deutsche Gewächse, zugegeben: von denen wiederum sehr oft Rieslinge) lobt und besingt, waren die Winzer ausgesprochen spendabel. Jahr für Jahr werden an dieser Stelle Weine vorgestellt und bewertet, immerzu jeweils aus ein und derselben Region, etwa Saale-Unstrut 2023 oder Mosel 2024. Wie viele Flaschen letztlich zur Probe stehen, ist im vorhinein nicht klar. Nicht immer ist die Auswahl groß, und es kam auch schon einmal vor, dass kein einziger der angeschriebenen Winzer eine Kiste mit einer repräsentativen Auswahl seiner Erzeugnisse schickte. Statt der Probe der Pfälzer Weine etwa standen damals (2018) notgedrungen Discounterweine auf dem Programm, statt Deidesheimer Kalkofen und Forster Ungeheuer landeten »Nettoprinz und Aldischelm« im Glas. Auch das war lehrreich.
Heuer indessen ganz anders. Fast alle der mit der Bitte um Probierflaschen behelligten Weinbauern aus Niederösterreich, genauer aus dem Weinviertel, haben geantwortet und geliefert. Des einen Freud ist desselben Leid. Wem mehr Flaschen zur Probe auf dem Tisch stehen, der gerät in Schwierigkeiten, auf begrenztem Textraum alle getesteten vorzustellen. Geschlürft und getrunken wurden jedenfalls zwölf trockene Weißweine, die meisten Veltliner.
Die dominante Rebsorte des Weinviertels heißt Grüner Veltliner, der dort vor allem auf Löss und Lehm gedeiht. In keiner anderen Weinbauregion wird so viel von dieser Traubenart angepflanzt, die Weine hervorbringt, die sich durch ihre Frische auszeichnen, oft mit Pfeffernoten daherkommen, gleichwohl variantenreich und entgegen hartnäckiger Meinung sehr wohl lagerungsfähig sind. Im Kopf hallt ein Satz nach, den eine leicht esoterisch angehauchte Weinbäurin in der Kellergasse eines niederösterreichischen Winzerorts mehrfach wiederholte: »Der Veltliner kann alles, wenn man ihn lässt.« Welcher Winzer seinen Veltliner wie hat werden lassen, sollte herausgefunden werden.
Zur Probe standen ihrer zehn. Den Anfang machte ein Grüner Veltliner vom Weingut Reckendorfer. Winzer Matthias hat seine Weine in Reverenz an die instrumentale Klangzeugung mit Adjektiven aus der Sprache der Musik versehen, dieser Wein heißt allegro, also rasch, munter, heiter, fröhlich. »Klingt« er auch so? In der Nase leichte Noten von Petrol, die gar nicht stören, präsentiert sich dieser Wein bei verhaltener Säure schon reif. (Das gilt im übrigen für alle anderen auch.) An der Zunge grasige Aromen mit einer Andeutung von Ananas, im Abgang etwas schwerer. Einer der Probanden will Kirsche ausgemacht haben. Kein schlechter Auftritt. Der Ried Rabenstein der Familie Stadler entfaltet ein üppiges ätherisches Bouquet – Eisbonbon entfährt es einem – und schmeckt bei ebenfalls dezenter Säure würzig, süffig, weich und pfeffrig. Lecker. Weiter geht’s. Der Veltliner vom Weingut Frank zeigt eine intensive Frucht in der Nase, erinnert beinahe an die typischen Sauvignon-Blanc-Noten. Säurebetonter als die beiden Vorgänger erkennt die Zunge ein Aromagemenge aus einerseits Rhabarber, vielleicht auch Grapefruit, und andererseits dem veltlinertypischen Pfeffer. Im Abgang zitronig und angenehm metallisch.
Die Weine vom Gut Hardegg wiederum wachsen anders als die anderen, die zur Probe standen, nicht auf Löss und Lehm, sondern auf Sand, und das kann man schmecken. Das Bouquet dieses Veltliners gerät zurückhaltend, die Nase erkennt frisches Heu. Mit markanter, aber eben nicht dominanter Säure fällt dieser Wein sehr fein balanciert aus – kräutrig und pfeffrig, leicht ätherisch und sogar leicht salzig, mit Fruchtaromen von Apfel, Erdbeere und Grapefruit. Der ideale Gesamtveltliner sagt einer. Dagegen fällt der rebsortengleiche aus dem Hause Hirtl deutlich ab. Noten von Birne in der Nase, schmeckt der Wein leicht sprittig und bleibt eher flach – synästhetisch gesprochen: Da klingt nicht viel. Besser schon wieder der Veltliner vom Weingut Hofbauer-Schmidt, der mit einem Bouquet aus Birne und Petrol grüßt und an der Zunge so scharf und pfeffrig gerät wie kein anderer bisher. Ziemlich interessant. Wieder ganz anders kommt der Grüne Veltliner der Familie Schwarz daher, der aber, nicht unwichtig, aus dem Jahr 2023 stammt, wo hingegen die bisherigen solche von 2024 sind. In der Nase ebenfalls Birne, ist dieser Wein noch einmal reifer, cremig und weich mit Apfelaromen, zu denen etwas Vanille kommt. Mehr als gelungen.
Schwarzens Veltliner bildet gewissermaßen die Brücke zu den nun vorzustellenden Tropfen. Denn die Veltliner aus dem jeweiligen Premiumsegment haben eine bestimmte Lagenkennzeichnung, sind im »Design« anspruchsvoller und lagerten oftmals noch eine ganze Weile im Holzfass, bevor sie in Flaschen gefüllt wurden. Das macht sie deutlich komplexer und körperreicher, interessanter und ungewöhnlicher – meistens auch schwerer. Am Anfang dieser Reihe steht Stadlers Grüner Veltliner Reserve aus dem Jahrgang 2022. Toastnoten verströmend fällt auch dieser Wein weich aus, gibt der Zunge ebenfalls dezent Aromen von Vanille, vielleicht auch von Süßholz zu erkennen, bewahrt sich aber, das ist das Unerwartete an solchen Weinen, trotzdem Frische, Spritzig- und Kräutrigkeit. Fort intéressant. Obwohl ein Jahr jünger wirkt die »Hohenwarther Hochstrass« vom Gut Hofbauer-Schmidt viel gesetzter, ist deutlich säureärmer, cremig, weich und warm, zudem nussig, pfeffrig und rauchig. Sehr elegant, aber sicher kein Tropfen für heiße Sommertage. Zum letzten Veltliner. Ausgebaut im großen Holzfass ist Franks 2023er Veltliner vom Ried »Hoher Weg« eher säurearm, warm und weich. Die Fruchtaromen treten hier zurück, die Pfeffrigkeit hingegen drängt in den Vordergrund; komplex, aber ohne Spitzen.
Bruch. Denn im Glas steht plötzlich Weißburgunder. Was für einer? Alte Reben von der Ried Reinthal aus dem Holzfass vom Weingut Reckendorfer aus dem Jahr 2022, vom Winzer mit dem Zusatz »con espressione« versehen. Wie ist der, welchen Ausdruck hat er? Die Tester sind müde, Belastbares können sie dem Wein nicht mehr ablauschen. Also Tage später nachgeschlürft. Ätherisch, rund und füllig mit zurückhaltenden Fruchtaromen, gerät er geradlinig und säurearm, beständig und unverstellt, nicht schrill, sondern solide. Der Riesling vom Gut Hardegg, der zuletzt kommt, weckt wieder auf, sticht heraus. Rieslingtypisch und dann doch wieder nicht. Ausgebaut im Holzfass gewinnt dieser Wein mit ausgeprägten Pfirsicharomen und dem typischen und balancierten Süße-Säure-Spiel zusätzliche Eleganz. Wir bekennen uns als Fans – der Rebsorte generell wie auch dieses Tropfens. Ein würdiger Abschluss dieser Verkostung.
Basis-Weine
Weingut Reckendorfer, Grüner Veltliner allegro, 2024, 12,5 % vol., 8,30 Euro
Weingut Stadler, Grüner Veltliner Ried Rabenstein, 2024, 13 % vol., 7,90 Euro
Weingut Frank, Grüner Veltliner Weinviertel DAC, 2024, 12,5 % vol., 9,30 Euro
Gut Hardegg, Grüner Veltliner Edition »Girlitz«, 2024, 12,5 % vol., 9,38 Euro
Weingut Hirtl, Grüner Veltliner Classic, 2024, 12 % vol., 8,10 Euro
Weingut Hofbauer-Schmidt, Grüner Veltliner Weinviertel DAC Klassik, 2024, 13 % vol., 7,80 Euro
Bioweingut Schwarz, Grüner Veltliner, Weinviertel DAC, 2023, 12,5 % vol., Preis auf Anfrage
Premium-Segment
Weingut Stadler, Grüner Veltliner Reserve, 2022, 13,5 % vol., 19,20 Euro
Weingut Hofbauer-Schmidt, Grüner Veltliner Ried Hochstrass, 2023, 13 % vol., 25 Euro
Weingut Frank, Grüner Veltliner Ried Hoher Weg, 2023, 13,5 % vol., 21 Euro
Weingut Reckendorf, Weißburgunder Ried Reinthal con espressione, 2022, 12,5 % vol., 17,40 Euro
Gut Hardegg, Riesling Ried Steinbügel, 2023, 13,5 % vol., 24,64 Euro
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