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Aus: Erster Mai, Beilage der jW vom 30.04.2025
Erster Mai

Rettungsanker Rüstung?

Staatliche Rüstungsmilliarden schaffen neue Arbeitsplätze. Ökonomisch, ökologisch und verteilungspolitisch führen sie in die Sackgasse
Von Ulrike Eifler
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Die Verteilungskämpfe werden auch in Deutschland härter werden (müssen) (Brüssel, 13.2.2025)

Wenn der ehemalige Erste Bevollmächtigte der IG Metall Ludwigshafen-Frankenthal, Alfred Kuffler, vom Kampf um den Erhalt des Rüstungsbetriebes VFW Speyer erzählt, bekommt man eine Ahnung davon, wie politisch der Kampf um die Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie einmal war. Die Vereinigten Flugtechnischen Werke Speyer produzierten in den 1970er Jahren Teile für den MRCA-Düsenjet. Ein klassischer Rüstungsbetrieb mit 1.600 Beschäftigten. Als das Management das Werk 1975 mangels Rentabilität schließen wollte, antwortete die IG Metall mit einem beispiellosen Arbeitskampf für den Erhalt des Betriebes. Die ganze Region stand auf. Tag und Nacht wurde das Werk bewacht, um den Abtransport der Maschinen zu verhindern. Mit Erfolg! Nach zwei Jahren Arbeitskampf gelang es, sowohl die Arbeitsplätze zu retten als auch die Rüstungsproduktion auf alternative Produktion umzustellen.

Heute, 50 Jahre später, schließt kein Rüstungsunternehmen mehr wegen mangelnder Rentabilität. Das Gegenteil ist der Fall. Die Auftragsbücher der Rüstungshersteller sind randvoll. Die Gewinne schießen in die Höhe. Allein Rheinmetall konnte seinen Auftragsbestand 2023 um 38 Milliarden Euro erhöhen und seinen Gewinn um 19 Prozent steigern. Stand die Rheinmetall-Aktie 2020 noch bei 86 Euro, kostet sie inzwischen mehr als 1.300 Euro. Selbst der angeschlagene deutsche Stahlhersteller Thyssen-Krupp erfährt derzeit einen leichten Aufschwung: In den Büchern seiner Rüstungssparte Thyssen-Krupp Marine Systems (TKMS) stehen dank der staatlichen Rüstungsmilliarden Aufträge in Höhe von 16 Milliarden Euro. Es zeigt sich: Kriege versprechen Wachstum, wenn die Politik die Rahmenbedingungen schafft.

Und genau das tut die Bundesregierung: So legte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) auf den letzten Metern der Ampel im vergangenen Dezember eine »Nationale Sicherheits- und Verteidigungsindustriestrategie« vor, welche die industriepolitischen Weichen auf eine Expansion der heimischen Rüstungsindustrie stellen. Eine umfassende finanzielle Ausstattung der Bundeswehr, unternehmerische Planbarkeit, staatliche Abnahmegarantien, Wirtschaftsförderung und ein verbesserter Zugang zu Krediten und kapitalmarktbasierten Finanzierungen stehen dabei im Fokus. Absehbar könnten nicht nur die traditionellen Rüstungshersteller von dieser industriepolitischen Schwerpunktsetzung und von den milliardenschweren Rüstungsausgaben der Bundesregierung profitieren, sondern auch kleinere Startups. Das jedenfalls vermutet die Wirtschaftswissenschaftlerin Rafaela Kraus von der Universität der Bundeswehr in München. Sie begründet das damit, dass Rüstung mit den neuesten technologischen Entwicklungen in den Bereichen Software, künstliche Intelligenz und Robotik verbunden ist. Die im Koalitionsvertrag angekündigte starke Unterstützung von Startups könnte ein Hinweis darauf sein, dass auch die Koalitionäre dieses Potential erkannt haben.

Unterm Strich stabilisiert diese industriepolitische Orientierung die Wertschöpfungsketten der Rüstungsindustrie und führt zu einem Aufwuchs an Arbeitskräften. Inzwischen spricht die Rüstungsbranche von der größten Einstellungswelle seit Ende des Kalten Krieges. Der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) ging bisher von 70.000 Beschäftigten für seine rund 230 Mitgliedsunternehmen aus. Neueste Erhebungen zeigen, dass die Zahl inzwischen deutlich höher liegen dürfte. Zählt man die »mittelbar Beschäftigten« im Bereich »Sicherheit« noch hinzu, kommt man inzwischen auf eine Größenordnung von etwa 400.000. Wie nah Krise und Aufschwung beieinanderliegen, zeigt ein Blick in die deutsch-polnische Grenzstadt Görlitz: Hier wird der Rüstungshersteller KNDS ab März 2026 auf dem Gelände des Alstom-Konzerns gepanzerte Fahrzeuge produzieren und damit den 700 überwiegend jungen und hochqualifizierten Alstom-Beschäftigten eine Perspektive geben. Auch der Einstieg von Rheinmetall ins Volkswagenwerk Osnabrück oder die Rettung der Meyer-Werft sind Hinweise auf eine stattfindende Rüstungstransformation.

Ist diese rüstungspolitische Schwerpunktsetzung nun der konjunkturpolitische Rettungsanker für die krisengeschüttelte deutsche Wirtschaft? Das Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel) sagt ja. Höhere Rüstungsausgaben könnten das Wirtschaftswachstum ankurbeln und den Industriestandort stärken. Das Bruttoinlandsprodukt in Europa würde auf 1,5 Prozent steigen, wenn die EU-Staaten ihre Militärausgaben von zwei auf 3,5 Prozent des BIP anheben und von überwiegend US-amerikanischen auf heimische Hightechwaffen umsteigen, so das IfW Kiel. Auch so mancher Rüstungshersteller kommt angesichts der in Aussicht gestellten Rüstungsmilliarden ins Schwärmen. So fragte Hensoldt-Geschäftsführer Oliver Dörre in einer Kolumne für die Tageszeitung Welt: »Was liegt näher, als wirtschaftliche und sicherheitspolitische Herausforderungen zu verbinden? Was liegt näher, als drei oder fünf Prozent des BIP als Konjunkturprogramm für Deutschland zu verstehen?«

Doch sowohl ökonomisch als auch ökologisch und erst recht verteilungspolitisch könnten sich diese Hoffnungen schnell als Trugschluss erweisen. Verteilungspolitisch, weil die militärische »Zeitenwende« zwangsläufig auch eine sozialpolitische nach sich ziehen dürfte. 27,8 Millionen Euro kostet beispielsweise ein Panzer, eine neue Grundschule 25 Millionen Euro. Wer unbegrenzte Rüstungsausgaben beschließt, wird sich dieses Geld am Ende bei der Bildung, bei Renten oder Pflegeversicherung holen müssen. Auch ökologisch ist eine derartige Schwerpunktsetzung eine erhebliche Fehlinvestition. Denn für das Fortbestehen des Planeten ist es nicht egal, ob »grün« hergestellter Stahl in Bussen, Bahnen und Schienen verbaut wird oder in Panzern. Und gesamtwirtschaftlich besteht die Gefahr, dass sich eine industrielle Monostruktur herausbildet, die wirtschaftlichen Erfolg von realem Kriegsgeschehen abhängig macht. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass Umfang und Tempo des Hochfahrens von Rüstungskapazitäten ebenso wie eine auf zehn Jahre und länger angelegte Beschaffungspolitik den Charakter konkreter Kriegsvorbereitungen haben. Manufakturbetriebe wandeln sich unter den aktuellen Vorzeichen zu Großserienherstellern. Allein Rheinmetall hat seine Granatenkapazität seit Beginn des Ukraine-Krieges verzehnfacht.

Schlussendlich sind die Fragen, die sich heute im Hinblick auf die Rüstungsindustrie stellen, andere als 1975. Und trotzdem sind die Antworten ähnlich. Ohne starke und gut organisierte Belegschaften in den Rüstungsbetrieben und eine mächtige Friedensbewegung in der Gesellschaft lassen sich die Kämpfe für eine zivile Industrieproduktion nicht gewinnen. Gewerkschafter Kuffler betont, dass die Diskussion darüber durch die Vertrauensleute bei VFW Speyer schon lange vor dem Konflikt begonnen hatte. Ihr Beispiel zeigt, was auch jetzt wieder in den Rüstungsbetrieben auf der Tagesordnung steht: gewerkschaftliche Organisierung und politische Orientierung.

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