Gewerkschaften in Kriegszeiten
Von Andreas Buderus
Gewerkschaften stehen in Zeiten eskalierender imperialistischer Auseinandersetzungen und Kriege vor einer doppelten Aufgabe – und vor einer grundlegenden Entscheidung: Wollen sie weiterhin als systemintegrierende und -stabilisierende Instanzen wirken oder sich als soziale Kraft des Widerstandes gegen die herrschenden, die Mitwelt final vernutzenden und zwingend auf Krieg angewiesenen kapitalistischen Reproduktionsbedingungen neu erfinden?
Tatsächlich ist die Geschichte aktiver gewerkschaftlicher Kriegsbeteiligung in Deutschland lang – von der aktiven Zustimmung zum und Unterstützung des Ersten Weltkriegs über das weitgehende Schweigen zu Wiederbewaffnung und Notstandsgesetzen, die zunächst nur unwillige Beteiligung an der Ostermarschbewegung der 60/70er und der Friedensbewegung der 80er Jahre, das (nur teilweise zähneknirschende) Beiseitestehen zur zunächst schleichenden Remilitarisierung deutscher Außenpolitik seit der BRD-Beteiligung am Kosovo-Krieg 1999, der im besten Fall stillen Duldung aktueller Aufrüstungs- und Kriegsvorbereitungsprogramme bis hin zu deren aktiver öffentlicher Unterstützung wie zuletzt in der offiziellen Erklärung des DGB-Bundesvorstandes zu den Ostermärschen 2025, in der es heißt, dass »auch der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften die Notwendigkeit (sehen), in Deutschland und Europa verstärkte Anstrengungen zu unternehmen, um gemeinsam verteidigungsfähiger zu werden.«
Wenn ehemalige hohe Gewerkschaftsfunktionäre heute Rüstungsunternehmen führen (Ex-IGM-NRW-Bezirksleiter Oliver Burkhard ist seit 1. Mai 2022 Chef des Rüstungskonzerns Thyssen-Krupp Marine Systems) und Antikriegsproteste nur dann vom Apparat unterstützt werden, wenn sie mit der Regierungslinie übereinstimmen (Irak-Krieg 2003), zeigt sich: Der Schulterschluss mit dem militärisch-industriellen-Komplex ist kein Betriebsunfall, sondern tief in der DNA deutscher Gewerkschaften verankert.
»Erfolgreiches ›Management von Arbeiterunzufriedenheit‹ (C. Wright Mills) erforderte zwar immer eine gewisse Flexibilität im Umgang mit antikapitalistischen Bestrebungen, an ihrem grundsätzlich staatstragenden Charakter durften die Gewerkschaften allerdings keinen Zweifel mehr lassen. Ihr Beitrag zu Systemstabilisierung (…) umfasst seit jeher auch die Zähmung linker Kritik an Rüstungsindustrie und Repressionsapparaten.« (M. Meyer: Burgfrieden reloaded. Analyse und Kritik Nr. 704, Mai 2024)
Richtig ist aber auch: Im Oktober 1917 in Russland und im Januar und November 1918 im Deutschen Reich beendeten Millionen streikender und revoltierender Arbeiter und desertierende Soldaten das Gemetzel des Ersten Weltkriegs. In den 1980ern standen die Gewerkschaften in Europa Schulter an Schulter mit der Friedensbewegung und erzwangen erst die Kontrolle und dann den Abzug und die Verschrottung der atomaren Mittelstreckenwaffen in West und Ost. Bis ins Jahr 2019 war Konversion von Rüstungsproduktion in sozial nachhaltige Güter breiter gewerkschaftlicher antimilitaristischer Konsens.
Also: Die Gewerkschaftsorganisationen bergen auch ein anderes Potential. Sie könnten zu Trägerinnen praktischer Friedenspolitik werden – nicht mit wohlmeinenden Resolutionen, sondern durch gezielte Verweigerung, wenn Krieg und Rüstung konkret in den Arbeitsalltag eindringen. Streiks gegen Waffenexporte, Proteste gegen Rüstungsmessen, klare Kante gegen ›Konversion Pervers‹ und jede Form kriegskorporatistischer Politik in den eigenen Reihen. »Mit den Führern, wenn diese wollen, ohne die Führer, wenn sie untätig bleiben, trotz den Führern, wenn sie widerstreben.« (F. Mehring, Die »Labour Leader«-Briefe, in: Gesammelte Reden und Schriften. Band VIII: August 1914 bis April 1916)
Dazu braucht es Klarheit über den tatsächlich längst virulenten und massiven innergewerkschaftlichen Konflikt: Wer organisiert Friedensarbeit – und wer verhindert sie? Wer hält am Mythos vom friedensbewegten Selbstbild fest – und wer ist bereit, dieses Selbstbild durch praktische Konsequenz einzulösen?
Über 25.000 Menschen unterstützen bereits die Initiative »SAGT NEIN! Gewerkschafter:innen gegen Krieg, Militarismus und Burgfrieden«. Trambahnfahrer verweigern das Fahren von Fahrzeugen mit Bundeswehrwerbung. Über 6.000 Kollegen haben den Aufruf »Gewerkschaften gegen Aufrüstung und Krieg!« unterzeichnet. Auf dem ansonsten standorttreuen Aktionstag der IGM/IG BCE am 15. März 2025 wurde tausendfach auch die von Basisgewerkschafterinnen und -gewerkschaftern herausgegebene ›Aktionszeitung für eine Verkehrsindustrie mit Zukunft‹ verteilt. Dort heißt es: »Wir wollen für den Frieden arbeiten, für eine gute und friedvolle Zukunft aller Menschen – nicht für den Krieg und nicht für die Profite von Rheinmetall und Co.« Der Landesbezirksvorstand von Verdi Baden-Württemberg lehnte Ende März ohne Gegenstimmen die geplante Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland ab. Die GEW mobilisiert gegen die im Zuge der Ruhigstellung der Heimatfront betriebene obrigkeitsstaatliche ›Renaissance der Berufsverbote‹. In europäischen Häfen werden Streiks gegen das Verladen von Kriegsgerät organisiert; leider noch nicht in Deutschland. Das sind erste, ermutigende Schritte. Doch es braucht mehr. Viel mehr.
So soziologisch valide die Tendenz zur »ehernen Oligarchisierung der Massen durch die Apparate« ist (R. Michels, Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie. Leipzig 1911), so relevant also das Verhalten der Gewerkschaftsvorstände ist, so richtig ist es auch, dass die Vorstände nur die Bewegungsmöglichkeiten und Interpretationsspielräume haben, die die Basis ihnen lässt. Wer gute Arbeit und ein gutes Leben für alle Menschen in der Welt erkämpfen will, darf den Rüstungs- und Kriegswahnsinn nicht abnicken, sondern muss den Kriegstreibern überall und international Sand ins Getriebe streuen.
Alles lernen, nichts vergessen!
Es bleibt dabei: Der Hauptfeind steht im eigenen Land!
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